Das Internet wird als Werkzeug im politischen Kampf immer wichtiger. Aber es wird die direkte Aktion auf der Straße nicht ersetzen.

Als im Frühjahr in Tunesien und Ägypten die Jugend ihre diktatorischen Machthaber vom Thron stieß, war in den etablierten Medien schnell von der „Facebook-Revolution“ die Rede. Die geläufige These lautet, dass Soziale Netzwerke wie Facebook und der Online-Nachrichtendienst twitter hauptverantwortlich für die demokratischen Erhebungen gewesen seien. Dies impliziert, dass die Revolution nur ein paar Mausklicks entfernt ist. Bevor wir näher darauf eingehen, warum das Unfug ist, sollten wir uns ein paar Zahlen ansehen.

Viele auf Facebook

Weltweit ist der Anteil an Internet-UserInnen in Afrika fast am geringsten. Auf dem „schwarzen Kontinent“ leben 1,04 Milliarden Menschen1. Von ihnen nutzen gerade einmal 11,4 Prozent (118,7 Mio. Personen) das Internet. Im globalen Vergleich liegen die AfrikanerInnen damit zwar vor Ozeanien und dem Mittleren Osten, mit 5,7 Prozent fallen diese Zahlen aber dennoch recht bescheiden aus.

In Ägypten nutzen über 20 Millionen Menschen das Netz, das entspricht 24,5 Prozent2 der Gesamtbevölkerung. Im afrikanischen Ranking ist das laut der Internet-Datenseite „internetworldstats.com“3 eine Position im Mittelfeld. Weiters sind neun Prozent (7,3 Mio.) aller ÄgypterInnen Facebook-User. Wenn der Umsturz also von Facebook ausging, was haben die restlichen 13 Mio. ägyptischen UserInnen gemacht? Haben sie sich etwa von einer Online-Avantgarde leiten lassen? Ist das gar die neue, virtuelle Vorhut der Arbeiterklasse? Tyma Kraitt, Autorin des Magazins „International“, gab bei einer KSV-Veranstaltung im Mai eine Antwort darauf. Trotz der hohen Zahlen seien die meisten ÄgypterInnen in dem Sozialen Netzwerk Angehörige einer Schicht, die „sicher kein Interesse an einem Sturz“ Mubaraks hatte. Sprich: Leute aus der Kapitalistenklasse und der ihr nahe stehenden Schichten. Kraitt sagte zudem, die Mobilisierung für Aktionen sei vor allem über „Mundpropaganda“ verlaufen, über Pamphlete und Broschüren sowie SMS, welche sich die Aufständischen in Kairo, Alexandria und in anderen Protestzentren wechselseitig zugeschanzt hätten.

In Tunesien könnte man ebenfalls vorschnell von einer Online-Revolution ausgehen. Gemessen an der Bevölkerung sind die Nutzerzahlen hier sogar deutlich höher als in Ägypten. So nutzen 34 Prozent (3,6 Mio. Menschen) aller TunesierInnen das Internet, und die Facebook-User unter ihnen machen über zwei Drittel (2,6 Mio.!) aus. Reicht es denn für den Sturz eines Ben-Alis aus, bei einem virtuellen Demoaufruf auf „Ich nehme teil“ zu klicken?

Medien als Organisatoren

Man kann aufgrund der genannten Zahlen nicht verleugnen, dass Soziale Netzwerke eine immer wichtigere Rolle im politischen Kampf einnehmen. Die Dynamik, welche sich aus der Arbeit mit diesen neuen, digitalen Medien entfalten kann, ist sehr vielfältig und bis dato sicher nicht bis zu ihrem Ende ausgeschöpft. Denken wir etwa an die Anfänge des konspirativen Onlinejournalismus, wie er seit Jahren von indymedia betrieben wird. Und denken wir an die rasante Zunahme von Blogs in den vergangenen Jahren. Praktisch jedeR kann überall (Internetanschluss vorausgesetzt) Informationen heranziehen, verbreiten und seinen Senf zum Weltgeschehen dazugeben. Der Fortgang des digitalen Umbruchs wird diese Dynamik in Zukunft gewiss weiter vertiefen. Aber diese Netzwerke, ebenso wie das Internet an sich, machen von sich aus keine Revolution. Es ist ein Fetisch, der sich so gestaltet, als behaupte jemand, ein Hammer, Zement und ein Bagger würden von sich aus bereits ein Haus bauen. Das Werkzeug und das Produkt entfremdet sich vom Menschen, der es nutzt bzw. herstellt. Nehmen wir ein anderes Medium, um den potenziellen Funktionen von Facebook und Co. näher zu kommen: die althergebrachte gedruckte Zeitung und ihre Rolle für den politischen Kampf.

Bemühen wir mal wieder Wladimir Iljitsch: „Die Zeitung ist nicht nur ein kollektiver Propagandist und ein kollektiver Agitator, sondern auch ein kollektiver Organisator.“4 Die Organisationsfunktion kann das Internet noch viel stärker erfüllen als die klassische Zeitung. Im Gegensatz zu einem Printmedium haben LeserInnen bzw. Nutzerinnen durch das Web nämlich die Möglichkeit, in viel direkterer und – großteils barrierefreier – Weise auf verschiedene Inhalte zu reagieren bzw. eigene Positionen zu pushen. Der Grad der potenziellen Interaktionen ist viel höher als in einer Zeitung. Nicht zuletzt sind die Möglichkeiten zur Konspiration viel breiter gestreut – was immer wieder „Anti-Terror“-Kreuzritter auf den Plan ruft. Hier stoßen wir auf einen wichtigen Punkt: die Aneignung und der Austausch von Wissen allein kann und wird die Aktion auf der Straße nicht ersetzen.5 Würde man diesem Trugschluss folgen, könnte man sich sogleich in altkluger Manier auf einen Baum hocken, die Klassiker studieren und warten, bis sich die Revolution von allein ergibt.

Online-Aktionismus und Aktivismus

Gruppen wie „Anonymous“ lehren den Herrschenden das Fürchten. Sie koordinieren Attacken auf die Websites von Regierungen, Großkonzernen, Geheimdiensten. Die Masse der Internetnutzer ahnt nur von diesen potenziellen taktisch-strategischen Möglichkeiten der neuen Medien. Online verbreitete Demoaufrufe bereiten den Herrschenden zunächst wenige Sorgen. Es mangelt den meisten (revolutionären) AktivistInnen an konkretem, praktisch anwendbarem Wissen für schmerzhafte virtuelle Angriffe. Sich diese Fertigkeiten in naher Zukunft anzueignen, wird so essentiell sein wie die Teilnahme an einer Demonstration.

Also: das Internet gewinnt nicht nur als Quell des Wissens, sondern vielmehr als Waffe im politischen Kampf zunehmend an Bedeutung. Aber auch ein Stein fliegt nicht von allein – es braucht wen, welcheR ihn draußen vor der Tür in die Hand nimmt. Die Revolution gibt’s nicht zum Download. Wir sehen uns auf der Straße.

 

1 Alle Werte gerundet.

Zum Vergleich: in Österreich sind 75 Prozent der Bevölkerung vernetzt, das entspricht 6,1 Mio. Menschen.

3 Die hier genannten Zahlen basieren auf den auf dieser Homepage präsentierten Statistiken. Als Quellen gibt die Seite u.a. die CIA, die ITU (Internationale Fernmeldeunion, UN-Behörde), die GfK (Gesellschaft für Konsumforschung, deutsche international tätige Marktforschungsagentur) und andere vergleichbare Institutionen an.

4 Lenin: Womit beginnen? S.327. In: W.I.Lenin. Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Band 1, Berlin 1988, S.317-330.

5 Vgl. Lenin: Die Aufgaben der Jugendverbände.