Reallohnniedergang, Abbau demokratischer Rechte, Kriegstreiberei, offener Rassismus, Bildungs- und sozialabbau, Privatisierungen: Seit gut zwanzig Jahren sehen wir uns einer beispiellosen Offensive der herrschenden Klasse ausgesetzt. Was das heißt und was wir dagegen tun können.
Der stille Dritte am Verhandlungstisch
Der „Klassenfrieden“ in Form der sogenannten Sozialpartnerschaft ist eine der zentralen und gesellschaftsbestimmenden Entwicklungen, die Österreich nach 1945 geprägt haben. Arbeitskampf, Streiks und soziale Auseinandersetzungen wurden von der Straße auf den Grünen Tisch verlegt, wo VertreterInnen von Kapital und Arbeit über das Wohlergehen der arbeitenden Klasse verhandelten und, was bei völlig reformistischer Ausrichtung der Gewerkschaftsspitzen nicht verwundert, wurde und wird hier doch in erster Linie an der Absicherung der Interessen des Kapitals gewerkt. Dennoch war die herrschende Klasse bis in die Neunziger zu einigen Zugeständnissen wie Lohnzuwachs, 8-Stunden-Tag, Urlaubsbestimmungen oder die Öffnung der Universitäten für junge Menschen aus der arbeitenden Klasse gezwungen.
Dies lag zum Teil sicherlich daran, dass die Sozialdemokratie in diesen Jahren noch nicht zur Gänze im kapitalistischen Mainstream angelangt war. Der entscheidende Unterschied war allerdings der „globale Klassenkampf“ im Rahmen der Systemauseinandersetzung zwischen dem sozialistischen Block und den kapitalistischen Ländern. Die schlichte Existenz einer Systemalternative zwang die Herrschenden dazu, Verbesserungen für breite Schichten der Bevölkerung – freilich in einem sehr kleinen Maßstab – zuzulassen. Die Rolle der sozialistischen Länder als stiller Dritter am Verhandlungstisch von Löhnen, Arbeitsbedingungen, „wohlfahrtstaatlichen“ Maßnahmen und bildungspolitischen Agenden sollte in diesem Zusammenhang stets mitbedacht werden.
Wie schnell die Errungenschaften, als die Notwendigkeit dafür nicht mehr gegeben war, der Vergangenheit angehörten, sehen wir in der Entwicklung der letzten zwanzig Jahre. All diese Maßnahmen haben jedoch nichts an dem dem Kapitalismus zugrunde liegenden Ausbeutungsverhältnis geändert, sondern vielmehr eben aufgrund der Systemkonkurrenz für die herrschende Klasse gewissermaßen als Beruhigungsmaßnahme, als Tropfen auf dem heißen Stein, eine systemaufrechterhaltende Funktion erfüllt. Denn die entscheidende Frage – und das ist immer noch die soziale! – wurde schließlich nicht beantwortet, sondern lediglich in Versatzstücken überdeckt und ruhiger gestellt. Der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater (Gewinn-)Aneignung wurde nicht aufgehoben und somit war es für die Herrschenden auch ein Leichtes, die vormaligen Errungenschaften Schritt für Schritt abzubauen und ihre Angriffe auf breite Teile der Bevölkerung immer intensiver zu gestalten.
„Neoliberaler“ Rollback
Nach dem Untergang des Großteils des real existierenden Sozialismus‘ und mit dem Einläuten des vermeintlichen „Endes der Geschichte“ wurden jedoch alle den Klassenwiderspruch kaschierenden Mäntelchen abgeworfen und unter dem Schlagwort „Neoliberalismus“ die Zerschlagung des „Sozialstaats“ mit all seinen für das Kapital nicht mehr opportun erscheinenden Erscheinungsformen angegangen. Die Doktrin von „weniger Staat – mehr privat“ entfaltete in allen Bereichen der Gesellschaft eine Wirkung, die für die überwiegende Mehrheit der hier lebenden Menschen nur als katastrophal beschrieben werden kann. In Österreich ist hierbei das Verscherbeln der staatlichen Industrie und anderen Sektoren der Wirtschaft mit der damit einhergehenden Vernichtung von abertausenden Arbeitsplätzen sicherlich der größte Brocken. Damit Hand in Hand gingen der Abbau von Sozialleistungen, die Ökonomisierung der Bildung, die Unterwerfung der Gesundheitsvorsorge unter das Diktat der Marktwirtschaft und der Rechtsruck der gesamten politischen Elite in diesem Land.
Außerdem war es für die kapitalistischen Eliten und die Apologeten des Imperialismus auch wieder an der Zeit, vermehrt Kriege als Mittel zur weiteren Ausbeutung von Menschen und Ressourcen und zum Erschließen neuer Märkte einzusetzen. Wo der real existierende Sozialismus nicht ohnehin schon das Zeitliche gesegnet hatte, wurde er militärisch wie bei der Zerbombung Jugoslawiens in die Knie gezwungen. Völkerrechtswidrige Angriffskriege wie auch gegen Afghanistan, Irak, Libyen und die Vorbereitungen auf weitere (Iran, Syrien,…) stehen wieder auf der Tagesordnung. Auch wenn Österreich schon alleine aus militärischen Mitteln hier nicht an vorderster Front stehen kann und der Anschein von Neutralität nach wie vor aufgrund des breiten Zuspruchs zu ihr in der Bevölkerung aufrecht erhalten werden muss, mischt Österreich, was die Gewinne aus Kriegen angeht, ganz vorne mit. In diesem Zusammenhang sei die Rolle der österreichischen Banken im sogenannten „Ostgeschäft“ in Erinnerung gerufen.
In Zeiten der Krise
All diese Erscheinungen werden durch die Systemkrise, in die sich der Kapitalismus gezwungenermaßen gegenwärtig immer weiter verstrickt, verschärft. Momentan zeigt sich die Absurdität der kapitalistischen Weltordnung wohl am deutlichsten im Auftreten der Rating-Agenturen. Der Schluss, dass „Rating“ von „raten“ kommt, legt die Tatsache nahe, dass hier vereinfacht gesagt fiktive Zahlen und Werte von diesen Agenturen bestimmt werden. Diese schlagen sich dann aber – man denke nur an den Bammel der österreichischen Bundesregierung vor dem Verlust des AAA-Ratings – durchaus in der realen Ökonomie nieder. Ganze Volkswirtschaften lassen sich von privaten Firmen vor diesen hertreiben. Sahra Wagenknecht hat dieses zynische Schauspiel auf den Punkt gebracht: „Die gleiche Zockerbande, die die Staaten erst in die ganze Verschuldung hineingetrieben hat, diktiert den Staaten jetzt die Bedingungen, zu denen diese neue Kredite erhalten. Das ist, als würde ein Einbrecher mein Haus leerräumen und ich würde ihn anschließend um einen Kredit bitten, damit ich mich neu einrichten kann – wobei ich dem Einbrecher auch noch erlaube, die Zinssätze und Konditionen jederzeit neu festzusetzen.“[1] Gleichzeitig wird die massive Umverteilung von gesellschaftlichem Reichtum von unten nach oben durch die Bankenrettungspakete offen und ungeniert praktiziert und die Verarmung von breiten Bevölkerungsschichten zum Wohle des Kapitals ohne große Bedenken vorangetrieben. Das Einsetzen von „Wirtschaftsregierungen“ wie in Griechenland oder Italien, also der Sturz von gewählten VertreterInnen durch die kapitalistische Elite, ist nicht mehr und nicht weniger als die Aushebelung sämtlicher bürgerlich-demokratischer Regelungen. Das Kapital lässt in diesem Zusammenhang die gerne aufgesetzte „demokratische“ Maske freimütig fallen.
Widerstand aufbauen
Die großen Demonstrationen, die am Beginn dieser Krise standen, fanden unter dem Motto „Eure Krise zahlen wir nicht“ in ganz Österreich statt. Diese Losung blieb ein frommer Wunsch und reaktionäre „Krisenlösungs“prozesse fanden und finden genau in der Art und Weise statt, vor der auf diesen Demos gewarnt wurde. In den herbstlichen Kollektivvertragsverhandlungen hat sich allerdings gezeigt, welches Mittel dazu geeignet ist, die Herrschenden unter Druck zu setzen: der Arbeitskampf. Die Streiks und deren Androhungen im Metallsektor sind in der österreichischen Öffentlichkeit auf ein gewaltiges Echo gestoßen. Denn zugespitzt formuliert setzten stillstehende VÖEST-Öfen das Kapital auf ein vielfaches mehr unter Druck, als dies ein besetztes Audimax jemals tun könnte. Freilich, und das kann in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, waren es wieder einmal die Gewerkschaftsspitzen, die es in bester sozialpartnerschaftlicher Manier verstanden, die direkten Maßnahmen gegen die Offensive des Kapitals abzudrehen und sich kurz vor dem großen Streiktag „überraschenderweise“ doch noch mit dem Klassenfeind einigen konnten. Ganz klar trat dennoch zutage, dass der Widerstand der arbeitenden Klasse den längsten Atem hat und besonders in einem Land wie Österreich eine willkommene Unterbrechung der sozialpartnerschaftlichen Lethargie darstellt. Dies zeigt der breite Zuspruch der Bevölkerung zu diesen Kampfmaßnahmen, sowie die Kampfbereitschaft der Belegschaften.
Gegenmacht organisieren
An uns liegt es nun, Widerstand und Gegenmacht gegen die Diktatur des Kapitals aufzubauen und zu organisieren. Der Mobilisierung entlang von Einzelinteressen, die in den Konflikten der vergangen Jahre die bestimmende Komponente war, und dem Aufhetzen einzelner Bevölkerungsgruppen, die unter derselben Form der Ausbeutung leiden, gegeneinander, gilt es eine gesamtgesellschaftliche und systemüberwindende Perspektive entgegenzuhalten. Es ist an der Zeit, der „Krisenpolitik“ der herrschenden Klasse und der Offensive des Kapitals eine Gegenoffensive entgegenzusetzen.
Denn wie brachte es Brecht schon auf den Punkt:
„Dass du untergehst, wenn du dich nicht wehrst. Das wirst du doch einsehen“
[1] Junge Welt, 10.12.2011, Seite 8