Was passiert, wenn man öffentliche Güter wie das Gesundheitssystem privatisiert, zeigt das Beispiel USA: Hohe Kosten, enorme Profite und kaum Leistungen für die breite Bevölkerung.
Eine angemessene Gesundheitsversorgung für breite Teile der Bevölkerung sicherzustellen, erfordert großen organisatorischen und finanziellen Aufwand. In der „freien“ Marktwirtschaft, wo sich alles den Maximen Wirtschaftlichkeit und Konkurrenzfähigkeit unterzuordnen hat, ist das freilich problematisch. Denn auch wenn der Gesundheitssektor nicht in allen Ländern einen geöffneten Markt darstellt, ist der herrschende sozialökonomische Druck taktgebend. Daraus ergeben sich tiefgreifende Widersprüche.
Im Heimatland neoliberaler Politik, den Vereinigten Staaten, ist auch das Gesundheitswesen nach dessen Prinzipien organisiert. Es wurde weitgehend liberalisiert, sowohl bei Krankenhäusern als auch Versicherungen sind die meisten Leistungsträger in privater Hand.
Dahinter steckt die Vorstellung, dass in dem Sammelsurium individueller Akteure im Markt, durch direkte Konkurrenz ausgesiebt, diejenigen bestehen, die objektiv die beste Leistung erbringen – wobei “Objektivität” hier nicht mehr als die dahinterstehende Logik des Marktes bedeutet.
Unternehmen profitieren vom Fortschritt
Eine Firma, die z.b. durch eine neue Produktionstechnik zum selben Preis bessere Waren als andere Firmen produziert, hat einen Vorteil im Wettbewerb, macht damit mehr Profit und hat mehr Kapital zur Verfügung. Die anderen Firmen müssen mit dieser Entwicklung mitziehen, um sich im Markt halten zu können. Somit sollen schließlich alle Mitbewerber dazu getrieben werden, selbst bessere Leistungen zu erbringen, um im Konkurrenzkampf überhaupt zu bestehen. Der Idee nach profitiert die gesamte Gesellschaft von den Entwicklungen, die aus dem kreativen Wettkampf der konkurierenden Wirtschaftstreibenden hervorgehen. Die Arbeitszeit, die aufgewendet werden muss, um eine bestimmte Menge/Qualität eines Produkts zu erzeugen, nimmt ab. Der Arbeitswert steigt; die gesellschaftlich notwendige Arbeit(-szeit) sinkt.
Ohne aktiv betriebene Umverteilung profitiert jedoch nur der in erster Instanz gewinnende Teil der Gesellschaft, die Besitzenden der Produktionsmittel.
Bei “öffentlichen Gütern”, wie Gesundheit und Bildung, steht der Wettbewerbsgedanke allerdings in krassem Widerspruch zum eigentlichen Ideal des gesamtgesellschaftlichen Gewinns. Am Gesundheitswesen der USA ist dieser am deutlichsten erkennbar.
Profite durch weniger Versorgung
Eine Krankenversicherung zum Beispiel profitiert mehr, umso weniger Leistungen die Versicherten in Anspruch nehmen. Eine wettbewerbsorientierte Versicherung sollte sich also darum bemühen, hauptsächlich gesunde Kunden unter Vertrag zu nehmen.
Um die Ausgaben zu minimieren, haben Versicherer in den USA das sogenannte “Prescreening” als allgemein gängige Praxis etabliert. Während unter “Screening” das vorbeugende Untersuchen nach möglicherweise in Entstehung befindlichen Krankheiten bedeutet, umfasst “Prescreening” das mittels statististischer Daten betriebene Einschätzen des Risiko einzelner Personen, Krankheiten anheim zu fallen.
So müssen Menschen mit erhöhtem Risiko für Krankheiten höhere Premien zahlen oder haben Schwierigkeiten, überhaupt eine Versicherung zu finden. Das ist schlichtweg asozial: Schwangerschaft und Alter gelten als “Risikofaktoren” und führen zu höheren Beträgen, und als nicht versicherter Aids-Kranker eine leistbare Versicherung zu bekommen, ist Ding der Unmöglichkeit.
Hohe Kosten
Dabei ist das profitorientierte System nicht einmal volkswirtschaftlich besonders sinnvoll. Zum einen verursacht die zwangsläufig dezentralisierte Verwaltung hohe Kosten, da jede Versicherungsgesellschaft eine eigene Verwaltung braucht und Spitäler und Arztpraxen ebenso mehr Personal benötigen, um die uneinheitliche Bürokratie zu bewältigen. Die Kosten der Gesundheitsverwaltung betragen immerhin das 2,5-fache des OECD-Mittelwerts (der sich aus allen industrialisierten Staaten berechnet)! [1]
Zum anderen sind die rein staatlichen Ausgaben – für den eigentlich privatisierten Sektor – ebenfalls verhältnismäßig hoch. Da sich private Versicherungen aus dem Patientenpool eher die “Gustostückerln” aussuchen, bleibt den Kranken und “Risikobehafteten” der unteren Einkommensklasse oft nichts anderes übrig, als unversichert zu bleiben und auf die öffentlichen Dienste zurückzugreifen. Immerhin haben mehr als 16% der Bevölkerung keine Versicherung.[2] Laut einer Studie der Harvard Medical School wären sogar jährlich ca. 44.000 Tode von Unversicherten verhinderbar.[3]
Der Staat garantiert zwar jedem ein Minimum an medizinischer Versorgung, jedoch werden eigentlich nur wirklich lebensnotwendige Therapien gedeckt. Zudem sind die öffentlichen Kliniken unterfinanziert und in desolatem Zustand. Die Unterfinanzierung ist nicht zuletzt durch ungleiche Verteilung der Mittel innerhalb des Gesundheitssektors begünstigt. Eine von Steuermitteln getragene, allgemeine Gesundheitsversorgung gibt es nicht, zahlungsfähige Bürger nehmen private Versicherungen und Unversicherte können meistens sowieso nicht zahlen. Der Staat gibt viel aus und bietet wenig, während private Unternehmen profitieren.
Eine allgemeine Gesundheitsversorgung, wie sie in allen anderen indsutrialisierten Staaten absolute Norm ist, könnte erwiesenermaßen viele dieser Probleme lösen, würde den Bestrebungen der freien Marktwirtschaft aber freilich einen Riegel vorschieben.[4]
“Universal health care” ist zwar eines von Obamas größten Vorhaben, doch wurden seit seinem Amtsantritt, außer eines richtungsweisenden Reformpakets[6] keine wesentlichen Verbesserungen erreicht.
Der derzeitige Zustand der Versorgung spiegelt sich auch in der durchschnittlichen Lebenserwartung und der Kindersterblichkeitsrate wieder, die allgemein hin als Indikatoren für die Effektivität eines Gesundheitssystems verwendet werden, und in denen die USA hinter allen industrialisierten Staaten herhinkt.[1][6]
Dabei sind die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung – bei weitem – die höchsten, und das in jeder Form der statistischen Aufschlüsselung: Dollar pro Kopf aus privater oder staatlicher Hand & beiden Zusammen; Gesamtausgaben in Relation zum BIP, ebenfalls privat und staatlich getrennt, sowie zusammen auch.[1][6]
Fazit ist, dass diese liberalisierte Organisationsform volkswirtschaftlich unsinnig ist und den Staat unnötig viel Geld kostet, obwohl nicht mal eine adäquate Versorgung gegeben ist. Tatsächlich sind die größten Profiteure dieses Systems die darin involvierten Unternehmen selbst, nicht Gesellschaft oder Bevölkerung.
Diese Konstellation privater Gewinnaneignung und herausragender, dafür exklusiver Spitzenleistungen auf Kosten der Allgemeinheit, ist für neoliberale Wirtschaftspolitik allzu symptomatisch.
Quellen:
[1] CNN Bericht von 2009: https://articles.cnn.com/2009-06-05/health/bankruptcy.medical.bills_1_medical-bills-bankruptcies-health-insurance?_s=PM:HEALTH
[1] OECD Health Data 2012, speziell zur USA:, https://www.oecd.org/els/healthpoliciesanddata/HealthSpendingInUSA_HealthData2012.pdf
[2] Income, poverty, and health insurance coverage in the United States: 2010, https://www.census.gov/prod/2011pubs/p60-239.pdf
[3] https://www.pnhp.org/excessdeaths/health-insurance-and-mortality-in-US-adults.pdf
[4] httpss://www.commondreams.org/view/2011/07/01-3
[5] PPACP: Patient Protection and Affordable Care Act, 2010 erlassen
[6] World Health Report 2011: https://www.who.int/gho/publications/world_health_statistics/EN_WHS2011_Full.pdf