Wenn es in Österreich darum geht, medienwirksam gegen sozialstaatliche und arbeitsrechtliche Errungenschaften Stimmung zu machen, gibt es eine Organisation, die diese Aufgabe stets mit Verve an der vordersten Front zu erfüllen weiß: Die Industriellenvereinigung (IV).
Entstanden ist dieser Dachverband des österreichischen Industriekapitals bereits im Jahre 1862, mit dem Zwecke die kollektiven Interessen der aus dem Boden sprießenden Unternehmen der Industriebranche zu vertreten, damals allerdings noch unter dem Namen „Verein der Industriellen“. Im Jahre 1911 wurden dann das „Haus der Industrie“ errichtet, das heute neben der IV noch einen neoliberalen Think-Tank wie den „Verein zur Dynamisierung des Wirtschaftsstandorts Österreichs beherbergt.“ In der Zwischenkriegszeit wurde das Erstarken der Arbeiterbewegung vonseiten der IV mit Schrecken beobachtet, standen doch die Bestrebungen der Arbeiterklasse den Profitbedürfnissen der Industriekonzerne diametral entgegen.
Somit mag es auch nicht verwundern, dass die IV im Zuge der sich zuspitzenden Konflikte zwischen SozialdemokratInnen, KommunistInnenen einerseits und katholischen, deutschnationalen und faschistischen Gruppierungen andererseits, vehement für letztere Partei ergriff. Es wird beispielsweise kolportiert, dass das brutale Vorgehen von Polizei und Heimwehr im Rahmen des Justizpalastbrandes 1927, der mit einer Vielzahl von Toten aufseiten der gegen die Farce im Urteil von Schattendorf protestierenden Linken ihr trauriges Ende nahm, von der IV mit großzügigen Spenden bedacht wurden, gleichsam zum Dank für die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit für die besorgten Kapitaleliten.
Nach dem „Anschluss“ 1938 wurde die IV von den NS-Machthabern aufgelöst und zahlreiche österreichische Industriebetriebe (v.a. in kriegsrelevanten Schlüsselindustrien wie der Stahl- und Eisenproduktion) wurden vom deutschen Kapital übernommen. Schließlich wurde die IV im Jahre 1946 neu gegründet, wobei das Haus der Industrie noch bis 1955 Sitz des Alliierten Rates war, dessen Adressanschrift nicht Schwarzenbergplatz, sondern Stalinplatz lautete. Nach Abschluss des Neutralitätsvertrages durfte die IV also 1955 wieder in ihr altes Haus einziehen.
Neoliberale Agenda
Die programmatische Agenda, mit der die Industriellenvereinigung seit der Entstehung der Zweiten Republik bis heute auftritt, weist alle Merkmale des neoliberalen Denkgebäudes auf. Zu den Kernthemen der IV zählt wenig überraschend das Plädoyer für eine Verlängerung der Tages-Höchstarbeitszeit von 10 Stunden, da diese nicht praktikabel sei, wie der IV-Generalsekretär betont. Nun hatte freilich schon Marx im „Kapital“ festgestellt, dass „Zeitatome Elemente des Gewinns“ sind, die zu vermehren die naturgemäße Intention der nach Mehrwert trachtenden Bourgeoisie sein muss. Doch wird diese Absicht gerne in schöne Phrasen gekleidet, die meist von der Erfordernissen der Globalisierung, des Marktes oder gar der modernen Arbeitswelt künden, um so einen objektiv plausiblen Grund für Arbeitszeitverlängerung zu suggerieren. Dementsprechend lesen sich dann auch die von IV- Granden verbreiteten Wortmeldungen: „Das Arbeitszeitgesetz muss eine praxisorientierte und betriebsbezogene Arbeitszeitgestaltung ermöglichen. In Zeiten schlechter Auftragslage kann ein aufgebautes Zeitguthaben abgebaut werden. Einerseits werden mit Zeitkonten unnötige Stehzeiten vermieden und andererseits kann so die Beschäftigung in Zeiten konjunktureller Krisen gesichert werden. Davon profitieren ArbeitnehmerInnen sowie ArbeitgeberInnen.“
Nun ist es zwar durchaus einsichtig, dass die Arbeitgeber ihren Vorteil an möglichst nachfrageorientierten, marktangepassten Regelungen haben, doch es ist ebenso klar, dass dies für Arbeitnehmer eine weitere Zurücknahme gewerkschaftlich erkämpfter Rechte und geringere Arbeitsplatzsicherheit bedeuteten würde. Zeitkonten dienen dazu, sie in Nachfrage-starken Perioden über Gebühr zu beanspruchen und in schlechten Zeiten möglichst schnell abzustoßen. Doch IV- Generalsekretär Neumayer sekundiert: „ Um flexibel und betriebsindividuell auf die sich ständig und rasch verändernden Anforderungen der Märkte reagieren zu können, sind moderne Arbeitszeitrahmenbedingungen notwendig und die Stärkung der Entscheidungskompetenz auf betrieblicher Ebene notwendig.“ Was sich hinter dieser von Unternehmern allzu gerne beschworenen Losung nach Entscheidungen auf betrieblicher Ebene verbirgt, ist die angestrebte Zerstückelung der Tarifverhandlungen, um einem organisierten, kollektiven Kampf der arbeitenden Menschen einer Branche den Wind vollständig aus den Segeln zu nehmen. Das System der jährlich ausverhandelten Kollektivverträge soll so nonchalant unterminiert werden.
Industrieller Kampf gegen Fenstertage
Anfang dieses Jahres sorgte auch ein dreister Vorschlag der IV für breite Resonanz in den Medien. So wurde in einem Positionspapier eine Verschiebung der Donnerstag- Feiertage auf Freitage angeregt, um so die Zahl der Fenstertag-Wochenenden zu reduzieren. Um den Katalog der neoliberalen Irrsinnigkeiten auch ja auf Punkt und Beistrich zu erfüllen, fordert die IV auch „eine falsche Überregulierung im Finanzsektor“ zu vermeiden, da dies dem Wirtschaftsstandort Österreich schade. Über die massiven Einschnitte und Kosten, die die milliardenschweren Bankenrettungspakete durch eine falsche Unterregulierung des Finanzsektors bewirkt haben, verliert man freilich kein Wort. Doch das Selbstbild der IV sieht ein wenig anders aus, wie der ehemalige Präsident Veit Sorger in einem Kurier- Interview erläutert: „Viel zu schnell wird der Begriff „neoliberal“ verwendet. Dabei gibt es hier in Österreich im scharfen Sinne keine Neoliberalen. Wir sind alle Marktwirtschaftler und alle an einem sozialen Umfeld interessiert.“ Gleich im nächsten Absatz verrät Sorger dann die soziale Wärme seiner Marktwirtschaft:“ Bei uns [in Österreich] ist der Schalter noch nicht richtig umgelegt. Man muss den Arbeitnehmern und Unternehmern sagen: In Pension gegangen wird jetzt mit 65- und in drei Jahren mit 67. Du bekommst keine Pension vorher, außer du bist todkrank, Punkt. […] Das ist eine Frage der Mentalität. Wenn ich arbeiten will, finde ich einen Job in Österreich.“ In Zeiten von Rekordarbeitslosigkeit zu behaupten, dass man nur arbeitswillig sein müsse, um einen Job zu haben ist Zynismus der höchsten Stufe und gleichzeitig eine Diffamierung all jener Menschen, die als Arbeitslose täglich darum kämpfen müssen, irgendwie über die Runden zu kommen.
Macht ohne demokratische Legitimation
Nun wären all diese Programmpunkte kein großes Problem, wenn die IV einfach eine kleine, unbedeutende Gruppierung wäre, die keinen Einfluss ausübt. Jedoch ist das genaue Gegenteil der Fall. Als Dachverband von etwa 4000 Unternehmen ist die IV die bedeutendste Lobbying-Organisation der österreichischen Unternehmer und übt beträchtlichen Einfluss auf die Wirtschaftspolitiken der Parteien aus. So ist es kein großes Geheimnis, dass die IV zu Zeiten der Schwarz-Blauen Regierung als großer Ratgeber fungiert hat und so ihre Privatisierungs- und Deregulierungsagenden optimal vertreten sah. Ex-Präsident Veit Sorger bekennt ganz offen, dass er die „Ära Schüssel habe mitbegleiten können“ und rühmt die Erfolge dieser Zeit: „Absenkung der Körperschaftssteuer, Abschaffung der Erbschafts- und Schenkungssteuer, die neue Gruppenbesteuerung.“ (Die Körperschaftssteuer ist die Steuer auf Unternehmensgewinne; Die Gruppenbesteuerung führt dazu, dass Unternehmensgewinne nicht in dem Land, in dem die Wertschöpfung erzielt wurde, versteuert werden, sondern es wird ein Gesamtsaldo aus allen Ländern herangezogen, wodurch bei auswärtigen Verlusten weniger Steuern beglichen werden müssen.)
Die Industriellenvereinigung gilt traditionell als sehr ÖVP-nahe, was dazu führt, dass gerne Großspenden an die ÖVP geleitet werden. Besonders dienlich erweist sich dabei die Tatsache, dass Parteispenden über 7000 Euro im Normalfall dem Rechnungshof offengelegt werden müssen, was allerdings nicht für Interessensvertretungen wie die IV gilt. Somit hat sich die Praxis bewährt, dass Firmen ihre Parteispenden über die IV abwickeln. Doch auch die mit dem Oeuvre eines postmodernen Start-up Unternehmens mit Designkonzept agierenden NEOS pflegen gute Kontakte zur IV und greifen gerne Punkte aus deren Positionspapieren auf. Die FPÖ kam in Zeiten Schwarz-Blaus ebenfalls in den Genuss von finanziellen Zuwendungen, die allerdings höchst umstritten sind, da der Verdacht der Bestechung besteht: Die Gelder, die an das Verkehrsministerium flossen, wurden angeblich für die Erstellung einer Studie über die Infrastruktur-nahe Industrie beglichen. Die Studie ist aber bis dato nicht aufgetaucht. Ebenso dubios ist die Verwickelung der IV in die berühmte Homepage-Affäre des Finanzministers Grasser. So soll die IV die private Homepage Grassers mit 250.000 Euro finanziert haben, die dieser aber einer Versteuerung beim Fiskus vorenthielt.
Der IV und ihren politischen Vertretern in den betrieblichen Auseinandersetzungen um Löhne und Arbeitszeit die Stirn zu bieten und keine halbseidenen sozialpartnerschaftlichen Kompromisse einzugehen, muss Aufgabe einer fortschrittlichen politischen Arbeit sein. Obendrein sollte man vorsichtig sein, wenn vorgeblich „links-liberale“ Fürsprecher einer Unterscheidung von guter Realwirtschaft und böser Finanzwirtschaft das Wort reden. Man muss darauf hinweisen, dass der Widerspruch der kapitalistischen Marktwirtschaft zwischen Kapital und Arbeit besteht, wobei die IV eine der Hauptexponenten der Kapital-Seite darstellt, zu der mit gebotenem Engagement in Gegnerschaft zu treten ist.