Am 25. Mai 2014 finden die Wahlen zum EU-Parlament statt. Im gegenwärtigen Wahlkampf versuchen sich die kandidierenden Parteien in punkto Inhaltslosigkeit zu überbieten, wohl auch um davon abzulenken, dass die Menschen in der EU von Mitbestimmung in allen entscheidenden Fragen ausgeschlossen sind. Weil es an echter Überzeugung und Begeisterung für das Projekt EU aufgrund der Erfahrung von sozialem Kahlschlag, Konzernlobbys, Bankenmacht oder Grenzregime mangelt, läuft die Jubelpropaganda auf Hochtouren. Die EU wird von den kapitalistischen Eliten und ihren Meinungsmachern zum segensreichen Projekt verklärt, dem wir Wohlstand, Frieden und Demokratie zu verdanken hätten. Als Kommunistische Jugend Österreichs und Kommunistischer StudentInnenverband beziehen wir dazu einen klaren Gegenstandpunkt: Wir lehnen die EU als Europa der Banken, Konzerne und Generäle entschieden ab. Wir sagen: Ein Europa, in dem alle Menschen das Recht auf soziale Sicherheit, Frieden, Arbeit, Bildung und Demokratie haben, kann nur jenseits des Elitenprojekts EU erreicht werden. Daran ändern auch all die schönen Worte nichts. Aber alles der Reihe nach.
Sozialunion?
Die 1952 als „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ gegründete EU war von Beginn an ein Konstrukt der europäischen Eliten, um ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Ihr heute immer offener zu Tage tretender Charakter als Herrschaftsinstrument der Banken und Konzerne ist folglich keine Fehlentwicklung, sondern in den neoliberalen Verträgen von Maastricht und Lissabon klar festgeschrieben. Um im kapitalistischen Sinne „wettbewerbsfähig“ zu sein, werden soziale und demokratische Rechte in den Mitgliedsstaaten immer weiter zurückgedrängt. Gerade in Südeuropa führt das Krisenregime der EU zu einem gewaltigen Verarmungsprogramm. In Griechenland etwa ist medizinische Versorgung für Hunderttausende ebenso unleistbar geworden, wie Unterernährung in den Schulen Einzug gehalten hat. Unfassbar sind die Statistiken zur Jugendarbeitslosigkeit: 57 Prozent in Griechenland, 54 Prozent in Spanien– welche furchtbaren Schicksale verstecken sich hinter diesen Zahlen!?
Vorzeige-Demokratie?
Die andere Seite der Medaille sind die auch in der Krise immer weiter wachsenden Vermögen der Reichen und die unzähligen Milliarden, die für die Rettung maroder Banken aufgewendet werden – bezahlt freilich von der breiten Masse. Um diese Angriffe auf die Mehrheit der Bevölkerung ohne lästige demokratische Mitsprache durchzuboxen, werden mehr und mehr Entscheidungen nach Brüssel ausgelagert. Während dort zehntausende Lobbyisten finanzstarker Interessengruppen Einfluss nehmen, kann das Schwindelprojekt EU-Parlament noch nicht einmal selbständig Gesetze beschließen. Das an Erpressung erinnernde „Demokratieverständnis“ in der Europäischen Union brachte EU-Kommissionspräsident Barroso in Bezug auf die drastischen Kürzungsprogramme der Troika in Südeuropa in einem Gespräch mit einem Gewerkschaftsvertreter folgendermaßen auf den Punkt: „Schaut, wenn sie nicht diese Sparpakete ausführen, könnten diese Ländern tatsächlich in der Art, wie wir sie als Demokratien kennen, verschwinden. Sie haben keine Wahl.“[1] Die EU ist folglich alles andere als ein Garant für sozialen Wohlstand und Demokratie, sondern im Gegenteil Brandbeschleuniger für Sozial- und Demokratieabbau im Interesse des Großkapitals.
Friedensunion?
Auch mit einem weiteren Märchen gilt es aufzuräumen, nämlich dem vom Friedensprojekt EUropa. EU-Mitgliedsstaaten waren über all die Jahrzehnte in imperialistische Kriege verwickelt, die Blutspur zieht sich von Vietnam und Algerien über Jugoslawien bis nach Afghanistan, den Irak und Libyen. Die EU ist zugleich Weltmarktführerin im Export von Kriegswaffen. Der Vertrag von Lissabon (2009) schrieb neben der militärischen Beistandspflicht auch die Verpflichtung zur schrittweisen Verbesserung der militärischen Kapazitäten der Mitgliedsstaaten fest. Auf dem EU-Rüstungsgipfel im Dezember 2013 stellten die EU-Verteidigungsminister demzufolge fest: „Wir brauchen auf höchster politischer Ebene die Erkenntnis, dass Rüstung eine Priorität ist.“
Die Überwindung des Nationalismus?
Von „linken“ EU-BefürworterInnen wird gerne das Argument ins Treffen geführt, die EU wäre ein Projekt um Nationalstaaten und Nationalismus zu überwinden. Beides stimmt nicht. Innerhalb der EU sind es die ökonomisch starken Nationalstaaten, die nicht nur den Ton angeben, sondern darüber hinaus auch ihre Dominanz über wirtschaftlich schwächere Staaten organisieren. Der deutsche Imperialismus nutzte die Strukturen der EU und die Währungsunion Euro, um zur führenden Wirtschaftsmacht Europas aufzusteigen und gerade den Ländern des Südens eine desaströse Wirtschaftspolitik aufzuzwingen, die in Massenarbeitslosigkeit und Elend mündete. Österreichische Banken und Konzerne wiederum sind die großen Gewinner der sogenannten EU-Osterweiterung, die als Privatisierungsraubzug und Angriff auf die sozialen Rechte der Menschen organisiert wurde. Zugleich erleben nationalistische Ressentiments eine Renaissance: Österreichische und deutsche Medien und PolitikerInnen verbreiten das Bild der „faulen“ SüdländerInnen, die Verelendungspolitik der EU im Süden und Osten Europas bereitet den Boden für faschistische Bewegungen. Gegenüber den Menschen der wirtschaftlich ausgebeuteten „Entwicklungsländer“, die in koloniale Abhängigkeit, Hunger und Krieg gedrängt werden, betreibt die EU eine strikte Abschottung. An den Außengrenzen der „Festung Europa“ starben seit 1998 über 20.000 Flüchtlinge. Nicht unerwähnt bleiben darf auch das Aufkommen eines EU-Chauvinismus, der Europa als vermeintlichen Hort der Zivilisation in Stellung gegen die Russische Föderation oder die muslimische Welt bringt und in der Rhetorik wahlweise an die Propaganda am Vorabend des Ersten Weltkrieges, an den Kalten Krieg oder die Kreuzzüge erinnert.
Betriebsunfälle?
„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“[2], so beschreibt der langjährige Vorsitzende der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, die Politik der EU. Mit dieser Taktik wurde in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an unsozialen, militaristischen und undemokratischen Maßnahmen über die Köpfe und oftmals ohne das Wissen der Menschen beschlossen. Dieses Vorgehen sind weder Betriebsunfälle, noch stellen sie – wie von „linken“ EU-BefürworterInnen oft dargestellt – Konstruktionsfehler der EU dar. Das Wesen und der Charakter der Europäischen Union beinhalten eben auch grundlegende Entscheidungen der Mitsprache der Bevölkerung zu entziehen, die Demokratie in nationalstaatlichen Parlamenten sowie regionalen und kommunalen Volksvertretungen durch übergeordnete und der Bevölkerung entrückten Instanzen auszuhebeln und das Diktat des Großkapitals möglichst reibungslos zu organisieren. Es wäre naiv zu glauben, dass ein Projekt, welches im Interesse von Konzernen und Banken derart rabiate Angriffe auf soziale Rechte, Demokratie, Umwelt oder Privatsphäre durchführt, wie das neoliberale Finanzkorsett Fiskalpakt und den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), das geplante sogenannte „Anti-Piraterie-Abkommen“ ACTA oder das gegenwärtig verhandelte EU/USA-Freihandelsabkommen TTIP durch das Drehen an ein paar Schräubchen plötzlich sozial, demokratisch und friedlich werden könnte. All diese Abkommen und Pläne sind keine Betriebsunfälle oder Irrwege eines ansonsten unterstützenswerten Projektes. Im Gegenteil: Das Wesen der EU als Europa der Banken, Konzerne und Generäle führen unweigerlich zu derartigen Abkommen und Plänen. Wie soll auch aus der Addition 28 kapitalistischer Nationalstaaten unter dem Strich etwas Progressiveres als ein kapitalistisches Staatenbündnis herauskommen? So ist es wenig verwunderlich, dass der auf dem Lissabon-Vertrag begründete „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ unter anderem besagt, dass die EU-Wirtschaftspolitik „dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist.“[3] Damit ist die kapitalistische Wirtschaftsform Primärrecht der Europäischen Union und kann einzig über eine von allen 28 Mitgliedsstaaten mitgetragene Vertragsänderung abgeändert werden. Was also in grauer Theorie möglich wäre, wird so in der Praxis nicht funktionieren: Bevor die EU von unten verändert wird, würde sie von den Eliten von oben aufgelöst. Nicht zuletzt deshalb ist eine fundamentale Opposition zur EU Grundvoraussetzung für jegliche soziale und demokratische Veränderung, für eine revolutionäre, antikapitalistische und sozialistische Perspektive sowieso.
Ein Gefängnis kann kein Kinderspielplatz werden!
Für uns steht fest: So wenig wie der Bauplan eines Gefängnisses für die Errichtung eines Kinderspielplatzes taugt, taugt die Konstruktion der EU für die Schaffung eines sozialen, demokratischen und friedlichen Europas. Die EU ist nämlich nicht, wie ihre rechten, neoliberalen oder „linken“ BefürworterInnen stets behaupten, eine Einbahnstraße. Die EU ist das Projekt der Banken, Konzerne und Generäle, um ihre Herrschaft zu organisieren und jede weitere Vertiefung der EU-„Integration“ ist ein Projekt der kapitalistischen Eliten, die keineswegs mit internationaler Solidarität verwechselt werden darf. Wir halten dem Projekt EU die Perspektive eines sozialen, demokratischen und friedlichen Europas in einer ebensolchen Welt entgegen, deren Voraussetzung ein revolutionärer Bruch mit dem Kapitalismus und folglich auch mit dessen Staatenbündnissen ist. Eine linke, internationalistische Position muss unter diesen Bedingungen auf starke klassenkämpferischere Bewegungen, widerständische Strukturen und den Aufbau von Gegenmacht zur Herrschaft der Banken und Konzerne in allen Staaten orientieren. Unter günstigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen geht es um die Verweigerung gegenüber dem EU-Diktat und in weiterer Folge das Ausbrechen einzelner, fortschrittlicher Staaten und eine völlig neue, solidarische Kooperation zwischen Staaten auf Augenhöhe. Dazu lohnt der Blick über den EUropäischen Tellerrand: Die linken Regierungen Lateinamerikas nahmen mit solidarischen Kooperationen wie ALBA oder CELAC ihre Geschicke selbst in die Hand, anstatt durch Illusionen in die US-dominierten Bündnisse soziale Veränderung auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben.
Was tun?
In Österreich stehen wir in der Hinsicht freilich ganz am Beginn des Weges. Ja, es mangelt zu unserem großen Bedauern selbst an einer Wahlkandidatur, die eine grundsätzliche Kritik am Elitenprojekt EU von links formuliert und eine politische Alternative aufzeigt. Darum halten wir auch die Frage, ob man bei den diesjährigen EU-Wahlen „weiß“ wählt oder der Wahl fernbleibt, für nebensächlich. Andere Varianten stellen für uns keine Option dar. Was wir in Österreich ebenso wie in jedem anderen Land der EU tatsächlich dringend brauchen, ist eine politische Bewegung, die für die Interessen der arbeitenden Menschen, der Jugend und der armen Bevölkerungsschichten eintritt und dies mit dem Einsatz für Frieden, Neutralität und internationale Solidarität verbindet. Wir als Kommunistische Jugend Österreichs und Kommunistischer StudentInnenverband sind vielseitig bemüht zum Aufbau einer solchen Bewegung beizutragen. Dabei orientieren wir darauf, die alltäglichen Sorgen und Kämpfe von SchülerInnen, jungen ArbeiterInnen, Studierenden und erwerbslosen Jugendlichen mit dem Blick auf das große Ganze zu verbinden. Dazu zählt für uns auch, Klarheit darüber zu schaffen, dass wir unser Recht auf soziale Sicherheit, Arbeit, Bildung und Frieden nur im Kampf gegen die kapitalistischen Monopole, Banken und Konzerne sowie ihre EU durchsetzen können. Dieses Ziel werden wir auch dann noch verfolgen, wenn all der schön verpackte Lug und Trug auf den Wahlplakaten längst weggeräumt ist und hoffen bei den kommenden EU-Wahlen Teil einer Bewegung zu sein, die als fortschrittliche, fundamentale EU-Opposition auch auf dem Stimmzettel zu finden sein wird.
Positionspapier der Bundesleitung der Kommunistischen Jugend Österreichs (KJÖ) und des Kommunistischen StudentInnenverbands (KSV) zur Wahl des EU-Parlaments, 19. Mai 2014.
[1] Zitiert nach: https://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=296&Itemid=40
[2] Zitiert nach: https://de.wikiquote.org/wiki/Jean-Claude_Juncker
[3] Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 119, Absatz 1. Siehe hier: https://dejure.org/gesetze/AEUV/119.html