Protokoll eines Putschversuchs

Hasan, Oberösterreich

Am 15. Juli 2016 kurz vor 23:00 Uhr Ortszeit wurden Militärflugzeuge über der türkischen Hauptstadt Ankara gesichtet. Strategisch wichtige Orte in den Großstädten wurden von Teilen des Militärs besetzt. Im Militärhauptquartier wurde der Generalstabschef Hulusi Akar von PutschistInnen festgenommen und auch die AKP-Zentrale wurde – mit der Aufforderung an alle Anwesenden, das Gebäude zu verlassen – besetzt.

Zeitgleich kam es zu einer Explosion im Hauptgebäude des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie einer Schießerei zwischen putschendem Militär, regierungstreuen Polizeieinheiten und Gendarmerie. Ein Luftangriff auf das Hauptquartier der  Spezialeinheiten der Polizei in Gölbaşı (Ankara) soll 17 PolizistInnen getötet haben. Weitere Schauplätze für Gefechte waren das Parlament, der Flughafen Istanbul-Atatürk, Polizeistationen, die Zentrale des Geheimdienstes, die Bosporus-Brücke und die Bodenstationen von Türksat (türkischer Satelliten- und Kabelnetzbetreiber).

Zwei der drei Brücken über den Bosporus hinüber auf die asiatische Seite Istanbuls wurden mit Panzern gesperrt. Im Zuge des Putschversuchs veröffentlichten die VerschwörerInnen eine Verlautbarung über den besetzten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in der es hieß: „Die türkischen Streitkräfte haben die komplette Regierung des Staats übernommen, um die verfassungsmäßige Ordnung, die Menschenrechte und die Freiheit, den Rechtsstaat und die öffentliche Sicherheit, die beschädigt worden waren, wiederherzustellen. […] Alle völkerrechtlichen Verträge sind nach wie vor gültig. Wir hoffen, dass unsere guten Beziehungen zu allen Staaten weiter bestehen.“[1] Begründet wurde der Putschversuch damit, dass die „demokratischen und säkularen Rechtsgrundsätze durch die derzeitige Regierung erodiert wurden.“[2] Das Land werde ab sofort vom „Friedensrat der Türkei“ regiert, der die „Sicherheit der Bevölkerung“ gewährleisten werde.. Weder wurde die Größe des Rates, noch seine personelle Besetzung genannt. Im Nachhinein wurde aber bekannt, dass Soldaten die TRT-Studios in Istanbul und Ankara etwa um Mitternacht gestürmt hatten und die Nachrichtensprecherin laut eigenen Angaben mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen wurde, die Verlautbarung der PutschistInnen zu verlesen.

Ministerpräsident Binali Yildirim bestätigte daraufhin den Putsch und erklärte, dass „Teile des Militärs“ einen „illegalen Versuch“, die Macht zu ergreifen, unternommen hätten. Er kündigte an, dass die Beteiligten den „höchsten Preis bezahlen müssten.“

Der türkische Präsident Erdoğan befand sich zum Zeitpunkt des Putsches im UrlaubEs gelang Erdoğan auf Grund von Warnungen des russischen und des iranischen Geheimdienstes im Vorfeld das Hotel zu verlassen und sich zum nahegelegenen Flughafen zu begeben. Das Hotel wurde schließlich kurz darauf von einer Spezialeinheit mit Hubschraubern angegriffen, jedoch wurde der Angriff von der Präsidentengarde vereitelt. Zwei Sicherheitskräfte wurden dabei getötet, sieben weitere verletzt. Erdoğan gab dem Fernsehsender CNN Türk unterdessen ein Interview per Facetime und rief die Bevölkerung zum Widerstand gegen den Putschauf.

Am darauffolgenden Tag erklärte die türkische AKP-Regierung, dass der Putschversuch gescheitert sei und mehr als 1.500 Militärangehörige festgenommen wurden.

Die staatliche Nachrichtenagentur berichtete am 20. Juli von 264 Toten, darunter 173 Zivilisten, 67 regierungstreue Sicherheitskräfte und 24 PutschistInnen. Im Zuge der verhängten Notstandverordnung (OHAL*) wurden 3 Nachrichtenagenturen, 16 TV-Sender, 23 Radiostationen, 45 Zeitungen, 15 Magazine und 29 Verlagshäuser geschlossen. Rund 26.000 Menschen sitzen derzeit in U-Haft, 13.500 in Haft und ca. 75.000 Reisepässe wurden im Zuge des Notstands annulliert[A1] . Zudem häufen sich die Berichte über Angriffe auf Minderheiten, wie bspw. die Verbrennung  einer transexuellen Person

Kommentar

Alle Macht in die Hände von Erdoğan

Bereits in den Morgenstunden nach den Gefechten zeigte sich, wer am meisten vom gescheiterten Putschversuch profitiert. Dass die herrschende AKP-Regierung alle Möglichkeiten nutzte, ihre Macht in allen Institutionen des Staates zu sichern und auszubauen, ist nicht von der Hand zu weisen. Eine massive Welle der Repression gegenüber Parteien wie der HDP, gegen Intellektuelle und Linke, sind nicht das einzige Mittel, dass die Erdogan-Partei nun anwendet; es geht ihr auch um das Schmieden von neuen Allianzen. Aus einer Position der Stärke heraus geht die AKP-Regierung auf die Republikanische Volkspartei (Cumhuriyet Halk Partisi, CHP) und die Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetci Hareket Partisi, MHP) zu, um angesichts der abgewendeten „Bedrohung für die gesamte Nation“ Brückender Versöhnung über die Gräben zwischen den drei Parteien zu bauen.

 

Der Vorsitzende der CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, und Recep Tayyip Erdoğan ließen die jeweils gegen den anderen gestellten Anzeigen fallen; Ministerpräsident Yilidirim besuchte die Parteien CHP und MHP um einen Dialog zu eröffnen. Erdoğan wie auch Yildirim nahmen tausende Strafanträge –mit der Begründung „einen Neustart zu machen, neue Seiten aufzuschlagen und allen in der Regierungspartei wie in den Oppositionsfraktionen die Hände zu reichen“ – zurück. Am 7. August lud der Staatschef die Vorsitzenden der Oppositionsparteien zu einer gemeinsamen Demonstration in Istanbul ein – mit Ausnahme der prokurdischen Partei HDP (Halklarin Demokratik Partisi).

 

Nach diesem gescheiterten Putschversuch baut das AKP-Regime, die demokratischen Rechte weiter ab und versucht ein Präsidialsystem aufzubauen, was Erdoğans autoritäre Politik weiter festigen wird – Auf Kosten der türkischen ArbeiterInnenklasse, der kurdischen Bevölkerung, gegen die ein blutiger Krieg geführt wird und der dort lebenden Flüchtlinge.

Solange die unterdrückten Massen sich nicht organisieren und eine gemeinsame Linie gegen den repressiven türkischen Staat bilden und reaktionäre Organisationen bekämpfen, wird das nicht das letzte Massaker gewesen sein, das die Bevölkerung erdulden musste.

 

*Was bedeutet der Ausnahmezustand in der Türkei „OHAL“ (Olağanüstü Hal) genannt, konkret für die Bevölkerung?
Der Regierung werden Folgende Kompetenzen zugesprochen:

– landesweite Ausgangssperren sind zu jedem Zeitpunkt in Kraft setzbar. (so wie es in kurdischen Gebieten seit   Monaten schon der Fall war – Nusaybin, Lice, Cizre Beispielsweise)
– Falls „OHAL“ in bestimmten Gebieten (wie oben genannt in Nusaybin, Lice und Cizre) ausgerufen wird, können an den Landesgrenzen Identitätsfeststellungen durchgeführt werden
– Die Versammlungsfreiheit kann jederzeit außer Kraft gesetzt werden .
– Durchsuchung von Personen und Beschlagnahmung von den Personen mitgeführter befindlicher Gegenstände ohne Begründung möglich.
– Bücher, Zeitschriften und Zeitungen können jederzeit verboten werden.
– Video- und Tonaufnahmen und ihre Verbreitung können jederzeit verboten werden.
– Bühnen- und Filmvorführungen können überwacht, abgebrochen, oder verboten werden.
– Versammlungen können jederzeit überwacht und aufgelöst werden
– Regierung kann Enteignungen vornehmen (Anfang Juni enteignete die Regierung rund 4000 Gebäude vor allem im Stadtteil „Nur“ in der kurdischen Stadt Cizre –http://www.heise.de/tp/artikel/48/48435/1.html)

 


[1] DKP Köln (2016): Nach dem Putsch. http://koeln.dkp-nrw.net/images/2016/pdf/rdgns_Ptsch_2.pdf.

[2] Wikipedia (2016): Putschverscuh in der Türkei 2016, https://de.wikipedia.org/wiki/Putschversuch_in_der_T%C3%BCrkei_2016,

 

Hinweis: Der Artikel ist unter dem Titel: Festigung der Macht bereits im Mahnruf 3/2016 (http://www.kz-verband.at/?page_id=911) in geänderter Form erschienen.