Widerstand statt Sozialpartnerschaft
Protest gegen die Arbeitsrechtsreform in Frankreich
Marie, Oberösterreich
Mit dem Anfang des Jahres durch die sozialdemokratische Regierung Frankreichs präsentierten Paket zu Reform des Arbeitsmarktes – mittels welchem die Rekordarbeitslosigkeit durch den Aufbau eines Niedriglohnsektors, der Etablierung (weiter) deregulierter Lohnarbeitsbedingungen[1] und einer Schwächung der Gewerkschaften sowie Mitbestimmung bekämpft werden soll – flammt in ganz Frankreich Widerstand auf.
Anders als noch in den 1970er Jahren kommt es aber nicht zu Generalstreiks sondern zu anderen Formen des Massenstreiks, da sich die gesellschaftlichen Umstände seither verändert haben. Wie bereits Rosa Luxemburg feststellte ist „Der Massenstreik […] eine so wandelbare Erscheinung, dass er alle Phasen des politischen und ökonomischen Kampfes, alle Stadien und Momente der Revolution in sich spiegelt. Seine Anwendbarkeit, seine Wirkungskraft seine Entstehungsmomente ändern sich fortwährend.“ (Luxemburg 1906) „Die moderne proletarische Klasse“, stellt Luxemburg (1910, hervorgehoben im Original) weiter fest, „führt ihren Kampf nicht nach irgendeinem fertigen, in einem Buch, in einer Theorie niedergelegten Schema, der moderne Arbeiterkampf ist ein Stück in der Geschichte, ein Stück der Sozialentwicklung, und mitten in der Geschichte, mitten in der Entwicklung, mitten im Kampf lernen wir, wie wir kämpfen müssen.“ Weswegen durch eine aktuelle Schwächung der ArbeiterInnen in Frankreich – durch bereits deregulierte Lohnarbeitsbedingungen sowie die hohe Arbeitslosigkeit – eine andere Taktik im Widerstand gegen die ArbeiterInnenfeindliche Politik eingesetzt wurde. Die SchülerInnen, StudentInnen und ArbeiterInnen blockierten strategisch wichtige Straßen und Punkte, legten hierdurch das Stromnetz zeitweise Lahm und sorgen durch ihren geschickten und kreativen Kräfteeinsatz auch für Engpässe in der Versorgung mit Treibstoff auf, um nur einige Erfolge zu nennen. Als die Regierung schließlich die Polizei schickte anstatt die Reform zurück zu nehmen, verteidigten Streikposten militant die Blockaden der Raffinerien. Die Kämpfe zeigten, dass die ArbeiterInnenklasse nach wie vor nicht zu unterschätzen ist und dem Kapitalismus noch immer problemlos Hiebe verpassen kann.
Getragen werden die Großprotest, welche über das ganze Land verteilt stattfindet auch von verschiedenen Gewerkschaften. Hierbei ist es wichtig zu wissen, dass Gewerkschaften und Demonstrationsrecht in Frankreich anders gestaltet sind als in Österreich. Im Grundgesetz verankert hat jede Person individuell das Recht zu streiken und zu demonstrieren. Gewerkschaften müssen nicht zu Streiks aufrufen, sie bieten aber auch keine Absicherung durch sogenannte Streikkassen[2], weswegen sogenannte wilde Streiks in Frankreich üblich sind. Der Organisationsgrad[3] – also die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder unter den ArbeiterInnen – ist in Frankreich sogar geringer als in den USA. Jedoch sind die ArbeiterInnen, die Gewerkschaftsmitglieder sind, aktive Mitglieder und nicht nur einzahlende, wodurch diese relativ Kampfstark sind. In Frankreich gibt es anders als in anderen Ländern mehrere Gewerschafts(dach)verbände, neben dem ältesten und größten, der Confédération générale du travail (CGT, 700.000 Mitglieder) gibt es aktuell vier weitere anerkannte. Nicht alle dieser Verbände unterstützen die Streiks gegen die Arbeitsmarktreform. Die sozialdemokratische Confédération française démocratique du travail, als zweitgrößter Dachverband verfolgt einen Regierungs- und Kapitalfreundlichen Kurs. Sie stützt als zweitgrößter Dachverband die Proteste nicht und agiert durch und durch sozialpartnerschaftlich, während die Force Ouvrière, eine Abspaltung der CGT, eine Mittlerrolle einzunehmen scheint. Die CGT agiert, in ihrer kommunistischen Tradition, als einziger der großen Dachverbände im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung[4] und ruft zur konsequenten Gegenwehr auf. Anders als in Rosa Luxemburgs Verständnis setzt die CGT den Massenstreik, trotz der kommunistischen Tradition nicht als offensives Mittel des Klassenkampfes auf dem Weg zur Revolution ein. Sie nutzen ihn lediglich als Verteidigungsmittel, um den Status Quo zu erhalten und Verschlechterungen zu verhindern, statt eine sozialistische Perspektive zu verfolgen oder zu bieten. Trotz dessen ist dieser Widerstand der ArbeiterInnen Frankreichs klassenkämpferischer und progressiver als alles, was die Sozialpartnerschaft[5] je zu bieten hatte, denn Seit Marx ist bekannt, dass der Wert der Ware Arbeitskraft von der Kampfkraft der Gewerkschaft abhängt, und nicht von der Einsicht der Kapitalisten, wie uns die Sozialpartnerschaft weiszumachen versucht. „Und die Kampfkraft der Gewerkschaften, lehrt Lenin, hängt am Klassenbewusstsein der Mitglieder, konkret daran, dass die Kolleg[Inn]en praktisch erkennen, dass die Sozialpartnerschaftsideologie“, wie sie die CFDT und viele mehr propagieren gegen uns gerichtet ist (AG Krise 2013).
Die Proteste laufen entgegen der Berichtserstattung bürgerlicher Medien seitens der ArbeiterInnen nicht radikaler ab, als in den Jahren zuvor. ArbeiterInnen in Frankreich wenden historisch andere, radikalere Formen der Proteste und Streiks, auch in der Wahl der Mittel, als bspw. in Österreich an: In den 2010er gab es bspw. eine ganze Reihe an Bossnappings im Kampf auf betrieblicher Ebene. Die Art in der die Polizei, gestützt durch den nach wie vor geltenden Ausnahmezustand agiert hat jedoch eine ganz neue Qualität. Berichten von GenossInnen aus Frankreich zufolge, wurde bspw. das Gebäude einer anarchistischen Gewerkschaft durch die Polizei aufgebrochen und durchsucht, was es noch nie gab oder Gebäude der CGT gezielt zum Zeitpunkt von angekündigten Massenstreiks eingekesselt und Personen nicht ohne Identitätsfeststellung aus den Gebäuden gelassen wurden. Außerdem wird Berichten zufolge Gummigeschosse, welche eigentlich zur Selbstverteidigung dienen sollen vermehrt offensiv gegen friedliche DemonstrantInnen eingesetzt oder mit Pistolen auf ArbeiterInnen, die protestieren, gezielt, um eine Eskalation der Proteste zu provozieren. Dies sind nur einige Beispiele für die Maßnahmen der Regierung.
Gefühlt unbeeindruckt von dem Vorgehen auf der Straße, den Interessen der französischen ArbeiterInnen entgegen und im Sinne des Kapitals hat die Regierung mit Hilfe des §49.3 selbst die bürgerliche Demokratie ausgehebelt. Hierdurch verhinderte die Regierung eine Diskussion inklusive Änderungsanträge innerhalb der Nationalversammlung und brachte somit still und heimlich in der Sommerpause das Gesetzt durch. Doch die ArbeiterInnen, allen voran die CGT kündigte an, die Kämpfe weiter zu führen, damit das Gesetz zurückgenommen wird.
AG Krise 2013: 10 Jahre Agenda-Offensive des Kapitals: Wie lange noch?. In: KAZ Dez. 2013.
Luxemburg, Rosa 1906: Massenstreik, Partei und Gewerkschaften, in Rosa Luxemburg Gesammelte Werke, Bd. 2, Berlin 1986, S. 93-170.
Luxemburg, Rosa 1910: Der politische Massenstreik und die Gewerkschaften. Rede in der Generalversammlung der Freien Gewerkschaften in Hagen, 1. Oktober 1910.
[1] Im Kapitalismus wird Lohnarbeit von Menschen verrichtet, die nicht über Besitz im Sinne von Maschinen, Vermögen o.ä. verfügen und die um Leben und Essen zu können einen Lohn benötigen, den sie für Ihre Arbeit für jemanden(dem Kapitalisten) bekommen, der eben nicht auf diese Art des Einkommens angewiesen ist, weil er Dinge wie eine Firma oder Fabrik besitzt.
[2] ArbeiterInnen tragen somit die Kosten für den Streik selbst, wobei es durchaus üblich ist, dass es im Anschluss an die eigentlichen Streiks noch eine Art Nachstreik gibt, wodurch dem Kapital der fehlende Lohn abgerungen wird. Im Zuge der aktuellen Streiks wird jedoch versucht über Solidarität und Spenden aus dem In- und Ausland den Streik finanziell zu stützen.
[3] Ca. 8%.
[4] Nach wie vor etwa 70 %der FranzösInnen sprechen sich gegen die Arbeitsmarktreform aus.
[5]Sozialpartnerschaft bezeichnet die Kooperation der Interessenverbände des Kapitals mit den Interessenverbänden der ArbeiterInnen, in der versucht wird Themen wir Kollektivverträge etc. über eine Konsenspolitik, statt Kämpfe zu klären, was jedoch den Klassenkonflikt künstlich befriedet und für schlechteren Ergebnissen für die ArbeiterInnen sorgt.