Interview mit dem Vorsitzenden der Kommunistische Jugend Österreichs zum 12-h-Arbeitstag: Unsere Zeit
Angriffe auf die Rechte der arbeitenden Jugend
Die schwarz-blaue Regierung in Österreich hat einen offenen Angriff auf die Arbeiterklasse gestartet. Zwei Wochen nach dem Bundeskongress des Östereichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) wurde nach Initiativ-Antrag von ÖVP und FPÖ die Erhöhung der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit täglich von zehn auf zwölf und wöchentlich von 48 auf 60 Stunden beschlossen. Zwei Wochen später demonstrierten in Wien 100 000 Menschen gegen die Gesetzesänderung, vorher hatten rund 2 000 Betriebsversammlungen stattgefunden. Die Regierung reagierte darauf, indem sie das Inkrafttreten des Gesetzes vom 1. Januar 2019 auf den 1. September dieses Jahres vorzog. Aber das ist nicht der einzige Angriff.
Die UZ sprach mit Raffael Schöberl, Vorsitzender der Kommunistischen Jugend Österreichs (KJÖ), über die Situation in Österreich und Möglichkeiten, die Angriffe der Herrschenden abzuwehren.
UZ: Ist der 12-Stunden-Tag das einzige, was euch bevor steht?
Raffael Schöberl: Nein, was auch auf der Agenda der Herrschenden steht, ist die massive Schwächung der Interessenvertretungen, also der Gewerkschaften und der Arbeiterkammer. Die Arbeiterkammer, also die gesetzliche Interessenvertretung der Arbeiterinnen und Arbeiter in Österreich, indem man den Mitgliedsbeitrag, den jeder Beschäftigte in Österreich zahlen muss, so krass senkt, dass die Arbeiterkammer finanziell handlungsunfähig ist. Bei den Gewerkschaften greift man vor allem die betrieblichen Interessenvertretungen an. Einerseits sollen die Jugendvertrauensräte, das sind die Interessenvertretungen für Lehrlinge und junge Arbeiter, vergleichbar mit den deutschen Jugend- und Auszubildendenvertretungen, abgeschafft werden. Sie argumentieren damit, dass sie im Gegenzug das Mindestwahlalter für das passive und aktive Wahlrecht für Betriebsräte absenken wollen, aber welcher junge Mensch fühlt sich schon von Betriebsräten vertreten? Es fehlt dort auch die Möglichkeit für junge Menschen, aktiv mitzugestalten. Die Jugendvertrauensräte sind der Regierung auch deshalb ein Dorn im Auge, weil sie natürlich die Rekrutierungsbasis für zukünftige Betriebsräte sind. Dort lernt man das Handwerk, wenn man diese Basis den jungen Menschen heute wegnimmt, wird man es später leichter haben, weil keine Betriebsräte mehr gewählt werden können, die etwas davon verstehen.
Das sind momentan die beiden Hauptangriffspunkte der Regierung.
UZ: Wie geht ihr als KJÖ damit um?
Raffael Schöberl: Wir gehen davon aus, dass Österreich die gleiche Entwicklung wie Britannien unter der Regierung von Margret Thatcher nimmt: Massive Privatisierungen, massive Zerschlagungen der Gewerkschaften. Uns muss es erst mal darum gehen, dort, wo wir von diesen Angriffen der Regierung selbst betroffen sind, aktiv zu werden. In Betrieb, Schule oder Universität.
Für den Herbst haben wir eine Kampagne unter dem Titel „Eat the rich“ geplant, in der es um die Umverteilung von Reichtum geht, aber in der wir auch darauf hinweisen wollen, dass die Schere zwischen Arm und Reich dem Kapitalismus immanent ist und unser Kampf deswegen immer auch ein Kampf gegen das System sein muss.
UZ: Könnt ihr sagen welche Branchen oder Berufsgruppen bei der Demonstration der 100 000 eine besonders aktive Rolle gespielt haben?
Raffael Schöberl: Als erstes muss man sagen, dass man deutlich gemerkt hat, dass es ein anderes Klientel war als sonst bei Demos, es war mal was anderes als das typisch linke Milieu. Der ÖGB hatte ja auch Züge und Busse gemietet, um aus allen Bundesländern Menschen nach Wien zu bringen, in vielen Betrieben wurde sehr stark für die Demo mobilisiert.
Besonders hinweisen muss man aber auf die Beschäftigten der Sozialversicherung, die von einer Zerschlagung bedroht sind. Die Allgemeine Unfallversicherung soll nach den Plänen der Regierung zerschlagen werden, wenn sie innerhalb eines Jahres nicht 500 Millionen Euro einsparen. Gleichzeitig sollen die Gebietskrankenkassen in eine Gesundheitskrankenkasse zusammengelegt werden, also von neun Trägern insgesamt auf einen einzigen, was auch massiv die Beschäftigten der Kassen trifft, dort ist kein Arbeitsplatz mehr sicher. Auch in dieser Frage hat es, wie beim 12-Stunden-Tag, einen überfallartigen Initiativantrag der Regierung gegeben, mit dem eine knallharte Ausgabenbremse für die Sozialversicherungen und Gesundheitsträger in Österreich festgelegt worden ist. Selbst laufende oder geplante Bauprojekte können nicht mehr verwirklicht oder fertiggestellt werden. Damit hat man die Selbstverwaltung der Sozialversicherung, die in Österreich verfassungsmäßig verankert ist, faktisch ausgehebelt. Daher sind bei den Protesten gegen den 12-Stunden-Tag auch viele Beschäftigte der Sozialversicherung auf die Straße gegangen.
Wahnsinnig stark haben aber auch die Beschäftigten aus den Betrieben mit einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad, wie in der Metall- oder Baubranche, für die Demonstration mobilisiert.
UZ: Wie ist das Gesetz noch aufzuhalten? Was wäre die richtige gewerkschaftliche Orientierung?
Raffael Schöberl: Der Druck auf die Gewerkschaftsführung muss steigen. Die Frage ist aber tatsächlich, inwieweit die Gewerkschaftsbasis die Führung unter Druck setzen oder selber ihre Proteste und Kampfmaßnahmen organisieren kann. Die österreichische Geschichte zeigt, dass man von der Gewerkschaftsführung wenig bis gar nichts erwarten kann, deshalb ist es wichtig, dass man an der Basis anfängt, Widerstand zu organisieren. Dabei müssen wir immer die Losung trommeln, dass es einen Streik braucht, dass man mit Öffentlichkeitsaktionen, Pressekonferenzen oder Flashmobs den 12-Stunden-Tag nicht verhindern wird. Wir brauchen einen Arbeitskampf, um den Druck auf die Regierung zu erhöhen. Wir stehen in Österreich vor der historischen Aufgabe, die Streiktradition wieder zu erwecken. Auch einen Gesamtkollektivvertrag, der kürzere Arbeitszeiten festschreibt und damit das Gesetz aushebeln würde, wie er manchen in der Gewerkschaft nun vorschwebt, wird sich nicht ohne Arbeitskampf erzwingen lassen. Das wird nicht am grünen Tisch der Sozialpartnerschaft herbeiverhandelt werden.