Erschienen in Vorneweg Nr.3/2018
Seit mindestens 3 Jahren wüten in Venezuela wieder fulminante Kämpfe, die in ihrer Bedeutung längst nationale Schranken überschritten haben: Kaum ein Mittel der Politik – von Medienpropaganda bis hin zu Straßenkämpfen – wird von der venezolanischen Opposition dabei ausgespart, den langersehnten Sturz der PSUV-Regierung in die Tat umzusetzen – mit dementsprechender Unterstützung des kolumbianischen Staates, der USA und den EU-Institutionen. Bemüht man sich, die blutgetränkten Akte des venezolanischen Dramas zu skizzieren, sollte man nicht nur die Ereignisse die sich in Venezuela ereignen, besser einordnen, sondern auch allgemeingültige Lehren aus diesem Stück modernen Klassenkampfes ziehen können.
Das alte Venezuela
Den guten alten Zeiten, denen die EU und die USA nachweinen, als ein wesentlicher Teil der venezolanischen Opposition mit eiserner Hand die Zügel in den Händen hielt, erfüllte Venezuela seine Funktion in der weltweiten Machtasymmetrie des Imperialismus: die nationalen Rohstoffe, vor allem Öl, waren für den imperialistischen Westen uneingeschränkt zugänglich und die Erträge dienten als Lebensspender der korrupten, nationalen Kapitalistenklasse. Dieselben Leute, die unlängst den „Sacharow-Preis für geistige Freiheit“ von der EU erhielten. In den 1980er-Jahren brachen die sogenannten Caracas – Hungerrevolten – aus. Die breite Bevölkerungsmehrheit erhob sich gegen die elitäre Minderheitenregierung, was von diesen mit roher Gewalt beantwortet wurde. Damals starben an die 3000 Menschen. Für die bürgerlichen Schreiberlinge, die heute wegen den venezolanischen Zuständen kaum schlafen können, damals kaum der Rede wert.
Der Bolivarische Prozess
Der Sieg Hugo Chavez 1998 leitete eine politische Wende ein, die als Beginn des bolivarischen Prozesses gilt. Zum ersten Mal konnten die Verarmten aus den Barrios registriert werden und so erstmals an Wahlen teilnehmen. Diese Marginalisierten bilden bis heute bestehende kommunale Netzwerke, die versuchten, soziale, kulturelle und ökonomische Projekte autonom zu realisieren. Die Politik Chavez‘ und der PSUV hob Millionen aus der extremen Armut und ermöglichte ihnen u.a. den Zugang zu einem stark ausgebauten, kostenlosen Bildungssystem mit 10 neuen Universitäten, tausenden neugebauten Schulen und verschiedensten Bildungsprogrammen. Man investierte in soziale Wohnbauprogramme und führte eine erhebliche Verbesserung der Ernährungslage bei. Diese Entwicklung provozierte einen Staatsstreich, bei dem Chavez entführt wurde, gefeiert von den USA und der EU. Erst durch den Druck des venezolanischen Volkes gegen die rechten Putschisten, die Dutzende ermordete, konnte Chavez frei gelassen werden und in den folgenden Jahren Wahl für Wahl gewinnen. Diese Tatsachen wird man in unseren Medien vergeblich suchen, zeigen sie doch die Aggressivität und den kleinsten gemeinsamen Nenner, der venezolanischen Opposition damals wie heute: Nicht Menschenrechte, sondern das Recht auf Ausbeutung, nicht Demokratie, sondern der Kampf um die Macht.
Die Wurzeln der Krise
Weshalb also befindet sich Venezuela trotz dieser Erfolge in einer solch tiefgreifenden Krise? Diese hochkomplexe Frage kann nicht alleine in der imperialistischen Aggression und dem politischen Kampf der Opposition liegen. Natürlich betreiben Ratingagenturen einen politisch motivierten Finanzkrieg, natürlich betreibt die nationale Kapitalistenklasse, die über ungeheure wirtschaftliche Macht verfügt, Sabotage – wie im Horten von Lebensmitteln und Tonnen an Bolivár-Scheinen, die in Kolumbien gefunden wurden, um die Inflation voranzutreiben. Aber die PSUV unter Nicolas Maduro hat auf allen Ebenen fatale Fehler begangen. Anstatt den Geldgebern der venezolanischen Opposition ihre ökonomische Macht zu entziehen, sie also zu enteignen, setzt die PSUV auf eine moralinsaure Rhetorik mit christlichen Einschlägen und der symbolische Huldigung Chavez‘. Die Regierung Maduros ist nicht fähig eine langfristige Strategie anzubieten, um die Krise zu lösen. Dies rächte sich spätestens bei den Parlamentswahlen 2014, als 2 Millionen der eigenen WählerInnen nicht mehr an der Wahl teilnahmen, und die Opposition gewann. Maduro begann ausländisches Kapital ins Land zu holen – vornehmlich Bergbaufirmen, die steuerlich begünstigt wurden und privatisierte Teile des staatlichen Erdölkonzerns. Die neoliberalen Tricks gingen in die Leere, denn das ausländische Kapital produziert wesentlich zu ihrem Vorteil, während die Kosten (Umweltzerstörung, Umsiedlung der Bevölkerung etc.) auf die Massen abgewälzt werden. Anstatt die Privatwirtschaft, die weitestgehend von der Opposition kontrolliert wird, zurückzudrängen, strebt Maduro einen Dialog mit dieser an. Das Kapital hat keinerlei Interesse, Venezuelas Wirtschaft zu entwickeln, sondern setzt auf Spekulationen und dem Import von Waren, die wesentlich teurer verkauft werden. Sowie die PSUV ihre klassenkämpferische Politik maßgeblich abgeschwächt hat, hat sie den Klassencharakter der Partei negativ transformiert – immer mehr opportunistische, kleinbürgerliche und karrieristische Individuen haben sich Verankerung der PSUV in den Staatsbetrieben als ihre ganz persönliche Karriereleiter missbraucht. Die Folge davon ist natürlich ein Erstarken der Korruption mit schwerwiegenden volkswirtschaftlichen Konsequenzen und Angriffe gegen die innerparteiliche Demokratie durch diese Elemente.
Widersprüchliche Entwicklung
Der derzeitige Kurs wird entschieden von der PCV, sozialistischen Ex-Ministern und revolutionären Basisorganisationen kritisiert und ihre eigene politische Arbeit – auch gegen die Regierung – intensiviert. Dennoch haben sie nicht den Klassenfeind, nämlich die venezolanische Opposition rund um die MUD und ihre destruktive Politik aus den Augen gelassen. Diese haben Teile der Hauptstadt Caracas verwüstet und landesweit versucht, die Unzufriedenheit der Menschen zu kanalisieren, um die Regierung zu stürzen, vor allem aber den bolivarischen Prozess im Gesamten zu liquidieren. Die Opposition sollte mit ihrem Vorhaben, den bürgerlichen Medien zum Trotz, scheitern. Ein initiierter Generalstreik scheiterte und Korruptionsfälle innerhalb der Opposition zeigten der Bevölkerung einmal mehr, worum es den Elementen in der rechten Opposition, die den Ton angeben, wirklich geht. Dies erklärt auch, warum die Regierung nicht nur das Parlament durch die Wahl der „Verfassungsgebenden Versammlung“ demokratisch entmachten konnte, sondern warum die PSUV bei den Regionalwahlen im Oktober in 19 von 23 Provinzen des Landes siegte – darunter in der Provinz Miranda, in der auch die Hauptstadt Caracas liegt und zuvor von der Opposition regiert wurde. Gleichzeitig errang die PCV dort, wo sie gegen die PSUV kandidierte, Achtungserfolge. Dies zeigt, dass trotz der schweren Lage und der politischen Krise der Regierung, die Mehrheit der Menschen der Opposition nicht vertraut.
Klassenkampf statt Elendsverwaltung
Die Erfahrungen in Venezuela zeigen, dass weder Wahlkämpfe noch Bündnisse mit dem Klassenfeind eine Option darstellen. Möchte die PSUV tatsächlich das Erbe Chavez‘ aufgreifen, kann man nur hoffen, dass sich die PCV und die klassenkämpferischen Basisorganisationen durchsetzen können und endlich die Dynamik des Klassenkampfes umgedreht wird – der gesellschaftliche Wille ist vorhanden, denn die Menschen können es sich nicht mehr leisten, ihr Leben von den Launen des Privatkapitals und des Schwarzmarktes diktieren zu lassen. Dazu muss die Privatwirtschaft sukzessive enteignet und unter gesellschaftliche Kontrolle gestellt werden. Die PSUV muss seine opportunistischen und karrieristischen Elemente aussieben und Strukturen schaffen, die dem Willen der Bevölkerung Rechnung tragen können, anstatt die politische Macht mit den Putschisten und rechten PolitikerInnen zu teilen, die vor nichts zurückschrecken. Nur so kann die Korruption in den eigenen Reihen bekämpft werden. Die widersprüchliche und schmerzhafte Entwicklung in Venezuela verdeutlicht, wenn auch unter eigenen spezifischen Bedingungen, zum einen, dass die Wirksamkeit von Reformen enden wollend ist und zum anderen, dass die Missachtung der Regeln des Klassenkampfes diesen nicht aus der Welt schafft, sondern lediglich der Gegenseite zum Sieg verhilft.