Selbst bürgerliche ÖkonomInnen prognostizieren heute, dass aus der Corona-Krise eine generelle wirtschaftliche Krise erwachsen wird – doch wie wird diese aussehen und wie wird die herrschende Klasse damit umgehen? Ein Blick in die Geschichte könnte darüber Aufschluss geben. Schauen wir uns also an, wie die herrschende Klasse in der Vergangenheit auf Pandemien reagiert hat – und welche Pandemie würde sich dafür besser eignen als die größte, die Europa jemals heimgesucht hat – die Pest?
Die Pest, oder wie sie von den Menschen damals anfangs genannt wurde, der „schwarze Tod“ oder einfach „das große Sterben“, war eine Pandemie, die sich, ursprünglich aus Asien kommend, ab 1347 am europäischen Kontinent ausbreitete und hier bis 1352 wütete. Das Ausmaß der Pandemie damals war natürlich viel größer als heute – man geht heute davon aus, dass die Krankheit damals ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahinraffte. Auch das wirtschaftliche System war zu dieser Zeit ein anderes – Feudalismus und nicht Kapitalismus. Eine parallele bleibt jedoch: Der Klassenkampf. Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen schreiben Marx und Engels ja bekanntlich im kommunistischen Manifest. Wie sah also der Klassenkampf nach der Pest aus?
Wie auch heute gab es damals eine kleine Minderheit, die von der Arbeit der großen Mehrheit lebte. Obwohl natürlich alle von der Krankheit betroffen waren bedeutete der enorme Verlust an menschlichem Leben eines: Einen gewaltigen Rückgang von Arbeitskräften. Es war aber nicht nur oder zumindest nicht direkt der Arbeitskräftemangel, der für die herrschende Klasse zum Problem wurde. Viel mehr war es die verbesserte Verhandlungsposition der verbleibenden Arbeitenden und das damit etwas zu Ungunsten der Herrschenden verschobene Machtgleichgewicht.
Hatten sie überlebt stellte sich für die Mitglieder der herrschenden Klasse bei der Fortsetzung ihrer Lebensführung nun einige Probleme. Wer für sein Bauvorhaben vorher noch auf eine hungrige, sich gegenseitig in ihren Lohnforderungen unterbietende Masse Tagelöhner zurückgreifen konnte, sah sich nun damit konfrontiert, den verbleibenden Bauarbeitern ein gutes Angebot machen zu müssen. Immerhin konnte ihnen auf der Baustelle nebenan ein besseres winken. Wo sich vorher vielleicht noch sechs Handwerkerfamilien in einem Ort um die Aufträge der lokalen BürgerInnen stritten und gegenseitig unterboten waren es plötzlich nur mehr vier. Die verbleibenden konnten daher höhere Preise für ihre Erzeugnisse verlangen. Junge Männer und Frauen aus armen bäuerlichen Familien, wenn sie keine Aussicht hatten den Hof zu erben und nicht die Mittel hatten anderswo eine eigene Familie zu gründen mussten vorher noch froh sein, überhaupt irgendwo ein Auskommen als Knecht oder Magd zu finden, egal wie das Bauernehepaar sie behandelte. Nun konnten sie sich aussuchen, wo sie arbeiteten und zu welchen Bedingungen. Bäuerlichen Familien generell, um 1300 immerhin etwa 93% der Bevölkerung, waren nun nicht mehr gezwungen, um jeden Preis ein auch noch so kleines und ödes Stück Land ihres angestammten Herrn zu bewirtschaften. Es gab ja nun gleich nebenan freigewordene Güter und einen Herrn, der bereit war, etwas weniger Abgaben zu verlangen, um dafür wenigstens irgendeinen Ertrag von seinem entvölkerten Land einzufahren.
Als Reaktion auf diese Kräfteverschiebung sehen wir überall in Europa die Einführung von Gesetzen die, wie man heute sagt, „den Arbeitsmarkt regulieren“ sollten. Gestern wie heute bedeutet das, dass der Krise, die ja alle betrifft, durch Maßnahmen begegnet wird, die nur die Arbeitenden treffen. Profitiert haben damals die feudalen Grundherren, das entstehende städtische Bürgertum und Bauernfamilien die wohlhabend genug waren, um Knechte und Mägde einzustellen. Auf dem Gebiet des heutigen Österreich wurden verschiedene dieser „Wirtschaftsordnungen“ erlassen. Nehmen wir als Beispiel die 1349 und 1352 für das Land Tirol durch den dort regierenden Markgrafen Ludwig von Brandenburg verfügten Wirtschaftsordnungen. Welche Maßnahmen werden ergriffen, um der erstarkten arbeitenden Bevölkerung zu begegnen? Wer profitiert von ihnen? Wie werden sie begründet?
Eines zeigt sich hier sofort: Auch damals stellte sich schnell heraus wer die Gesellschaft am Laufen hielt. Es geht dem Markgrafen in seiner Wirtschaftsordnung um die Handwerker und Arbeiter, die Schmiede, Schneider, Schuster, Taglöhner, das Hausgesinde, die Knechte und die Mägde. Diese hätten einen ungewöhnlichen Lohn gefordert, so der Markgraf. Was also tun, um diesen Forderungen zu begegnen? Ganz einfach: Er verfügte, dass die Löhne auf das Niveau von vor 5 Jahren, vor der Ausbreitung der Pest, eingefroren werden sollten. Wer höheren Lohn verlangte oder bezahlte sollte mit Geldstrafen belegt werden. Ausgenommen waren davon nur Arbeitskräfte, von denen es im Land nicht genügend gab: Zimmerleute und Maurer. Da es sich hier um eine Reaktion auf gestiegene Löhne handelt, muss das festsetzen der Löhne auf das Niveau von 1344 eine Lohnminderung dargestellt haben. Gleichzeitig legte der Markgraf fest, dass der arbeitenden Bevölkerung das Verlassen ihres angestammten Gerichts- und Pfarrsprengels unter Strafe verboten war. Sie konnten also nicht einfach das Land, mit seinen nun niedrigen Löhnen verlassen und anderswo eine profitablere Anstellung finden. Wiederum gab es auch hier eine Einschränkung. ArbeiterInnen von außerhalb durften das Land auf der Suche nach Arbeit betreten und sich darin frei bewegen – solang sie sich an die Lohnvorschriften hielten. Wie empfindlich die Lohnkürzung wohl war zeigt die nächste Bestimmung des Gesetzestextes: Wer zu den festgelegten Löhnen nicht arbeiten wollte, konnte vom örtlichen Richter dazu gezwungen werden. Das neu festgelegte Lohnniveau muss also so niedrig gewesen sein, dass die ArbeiterInnen es möglicherweise vorziehen hätten können, gleich garnicht zu arbeiten. Eine Sonderregelung gab es noch für die bäuerliche Bevölkerung. Deren Arbeit bildete die Existenzgrundlage der damals herrschenden Klasse, des Feudaladels. Es wurde daher festgelegt, dass bäuerliche Familien ihre Güter, die sie von ihren Grundherren zu verschiedenen Arten der Pacht hatten, nicht verlassen durften. Damit sollte wohl eine drohende Landflucht, ausgelöst durch die gestiegenen Löhne im Handwerks- und Taglohnsektor, verhindert und dem Rittern der Grundherren um potentielle Arbeitskräfte für ihr Land ein Riegel vorgeschoben werden.
Die wirtschaftlichen Beweggründe hinter den Bestimmungen werden aus deren Inhalt ersichtlich – aber wie wurden sie vom Herausgeber des Gesetzes begründet? Zuerst einmal wurde richtig festgestellt, dass das große Gebrechen, das über das Land gekommen war, die gesamte Bevölkerung, Adelig oder nicht adelig, bürgerlich oder bäuerlich, reich oder arm, betroffen habe. Dass die deshalb ergriffenen Maßnahmen aber nur die arbeitende Bevölkerung betrafen wurde damit begründet, dass sie wie bereits erwähnt ungewöhnlichen und unzeitlichen (also unzeitgemäßen) Lohn gefordert hatten. Das würde all denjenigen im Lande, die ArbeiterInnen einstellten einen verderblichen Schaden bringen. Daher, so der Markgraf, würde er zum Nutzen des Landes und seiner Bewohner dieses Gesetz erlassen.
Obwohl die Pandemie alle im Land betraf, wurden also nur Maßnahmen getroffen, die der arbeitenden Bevölkerung schadeten. Und den Grund dafür nennt uns Markgraf Ludwig überraschend ehrlich selbst: Diejenigen, die ArbeiterInnen einstellten, die „Arbeitgeber“, erlitten wirtschaftlichen Schaden. Wenn der Markgraf also beim Zweck seines Gesetzes von Nutzen für das Land spricht, dann meint er eigentlich Nutzen für die herrschende Klasse. Das kommt uns doch bekannt vor.