Ein Reisebericht aus dem sozialistischen Kuba.
Stimmengewirr, drückende Hitze und plötzlich im Scheinwerferlicht von zehn Fernsehkameras stehend, mit Mikros von BBC und CCTV unter der Nase – so erlebte ich meine Ankunft in Havanna. Der Grund der Aufregung war aber natürlich nicht unsere Anwesenheit, sondern die Vermutung der JournalistInnen, dass Edward Snowden mit uns in der Aeroflot-Maschine aus Moskau sitze. Nachdem ich die Frage verneinte, flaute das Interesse rasch ab und wir konnten uns auf den Weg zu unserer Unterkunft machen, mit dem Taxi vorbei am Placa de la Revolucion und an Wandbildern, die verkünden, dass die Menschen ihre Geschicke selbst bestimmen – die Nase dabei regelrecht ans Fenster gedrückt, um vom ersten Moment an möglichst viele Eindrücke mitzunehmen.
Die kommenden Tage verbringen wir als TouristInnen in Havanna, besuchen Museen und Sehenswürdigkeiten, sehen dem lebendigen Treiben auf den Straße zu, erforschen das Nachtleben – und führen auch manche Gespräche, die uns stutzig machen. Illusionen über das Leben im Kapitalismus hören wir ebenso wie Klagen über die unzureichende Versorgungslage. Manches freilich erweist sich später als billiger Trick, um ein paar CUC[1] aus den Taschen vermeintlich reicher TouristInnen zu ziehen. Geld für einen Arztbesuch oder für Milch für die Kinder muss auf Kuba nämlich niemand zahlen, da der Staat ein kostenfreies, hochwertiges Gesundheitssystem für alle Menschen ebenso garantiert, wie Tag für Tag einen kostenlosen Liter Milch für jedes Kind bis zum siebten Lebensjahr. Diese Errungenschaften der kubanischen Revolution werden auch von jenen gelobt, die ansonsten über vieles in ihrem Land murren. Entgegen dem von bürgerlichen Medien hierzulande gezeichneten Bild von der „Castro-Diktatur“ erleben wir die ganze Zeit über einen sehr offenen Umgang mit Kritik.
In den kommenden Wochen werden wir noch oft ein Zitat von Ernest Hemingway hören: „Am glücklichsten ist nicht, wer am meisten hat, sondern am wenigsten braucht.“ Und die Antwort, was man denn braucht, war auch schnell parat: „Musik, Salsa, Rum – und jeder Kubaner ist glücklich.“ Aber natürlich können auch heiße Rhythmen und Hochprozentiges (Rum gibt’s übrigens auch preisgünstig im kleinen Tetra Pak!) nicht alle Widersprüche zudecken. Nach dem Wegfall der Sowjetunion und der sozialistischen Staaten Osteuropas verlor Kuba den wichtigsten Handelspartner, der bis zu 90 Prozent der Zuckerproduktion abnahm. Die Folge war ein drastischer Rückgang der wirtschaftlichen Produktion und schwere Jahre für die Bevölkerung während der „periodo especial“. Verschlimmert wurde all das durch den jahrzehntelangen ökonomischen Krieg des US-amerikanischen Imperialismus und sein menschenrechtswidriges Handelsembargo, dass die widerspenstige, rote Insel vor der Haustür des Imperiums in die Knie zwingen sollte. „Das Leben hier in den 80er-Jahren war wie im Paradies, wohl in kaum einer Gesellschaft gab es jemals so geringe Unterschiede zwischen den Ärmsten und den Reichsten und jeder Arbeiter konnte sonntags in das teuerste Hotel Havannas gehen und hervorragend speisen“, erzählte uns Rodrigo, ein chilenisch-kubanischer Kommunist, den seine Überzeugung einst in die Kerker der Pinochet-Diktatur führte. „Die periodo especial hat dann natürlich das Vertrauen auf eine Probe gestellt.“ Viele Menschen haben Kuba Anfang der 90er-Jahre aus wirtschaftlichen Gründen den Rücken gekehrt, meist in Richtung USA. Etliche von ihnen sind unter den geänderten Bedingungen zurückgekehrt, desillusioniert vom „american dream“, in dem zwar jede/r reich werden kann, niemals aber alle und viele ein ärmliches Leben führen – ohne ein kostenloses Gesundheits- und Bildungswesen, das im sozialistischen Kuba eine Selbstverständlichkeit darstellt. „Ein Rückfall Kubas in den Kapitalismus wäre eine Katastrophe für die Menschen hier. Die Errungenschaften unseres Sozialismus wird das kubanische Volk daher niemals kampflos aufgeben“, erläutert Rodrigo und fügt hinzu: „Und wenn ich der einzige Kubaner bin, der sich entgegen stellt. Aber kampflos? Niemals!“ Sagt es, schmunzelt und prostet uns mit einem Cuba Libre zu. In die Verlegenheit, als einsamer Held gegen die Rückumwandlung Kubas in eine US-Kolonie kämpfen zu müssen, wird er wohl nicht kommen, wie uns viele weitere Gespräche und Diskussionen mit KubanerInnen gezeigt haben.
Die Solidaritätsbrigade „Los cinco“
Nach einigen Tagen des Daseins als TouristInnen werden wir schließlich Teil der Solidaritätsbrigade „Los cinco“ an der Technischen Hochschule von Havanna, der CUJAE. Gemeinsam mit 23 deutschen JungkommunistInnen unserer Schwesterorganisation SDAJ und 12 kubanischen StudentInnen werden wir die nächsten drei Wochen praktische Arbeit leisten, Vorträge besuchen, Referate halten, Ausflüge machen, Diskussionen führen und Freundschaften schließen. Rastloser Begleiter unserer Brigade ist Julian, der an der CUJAE ein Zentrum leitet, das sich für die Befreiung der „Cuban 5“ einsetzt. Diese sitzen seit vielen Jahren in US-amerikanischer Polit-Haft, weil sie ihr Land vor Terroranschlägen von exilkubanischen Gruppen, die von der CIA finanziert werden, geschützt haben. Julian ist gewissermaßen eine Verkörperungen der kubanischen Revolution. Seine Selbstlosigkeit, sein Beharren auf ethischen Prinzipien und die Beharrlichkeit, mit der er sein ganzes Leben für den Sozialismus eingetreten ist, helfen uns zu verstehen, warum die kubanische Revolution ein so hohes Ansehen in der Bevölkerung genießen. Oberstes Prinzip ist dabei, dass der Mensch an erster Stelle steht, das sei auch die Maxime auf Kuba: „Die Revolution lässt niemanden im Stich.“
„Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ (Che Guevara)
Davon können wir uns bei Besuchen in Kliniken, Arztpraxen, Schulen, medizinischen Forschungszentren und Universitäten selbst überzeugen. Alle Leistungen sind kostenlos und für alle Menschen zugänglich. Zudem bietet Kuba tausenden Studierenden aus Entwicklungsländern die Möglichkeit, auf der Insel ein Studium zu absolvieren, was ihnen in ihren Heimatländern durch hohe Bildungskosten vielfach verwehrt bleibt. Außerdem leisten tausende kubanische ÄrztInnen medizinische Hilfe in armen Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens.
Rasch geht unsere Zeit auf Kuba schließlich zu Ende. Zurück am Wiener Flughafen „begrüßen“ uns Werbetafeln der Raiffeisenbank, während mich ein Polizeibeamter anschnauzt. Staat und Kapital Hand in Hand, sozusagen. Aber die gesammelten Erfahrungen auf Kuba haben trotz aller Widersprüchlichkeiten Lust gemacht – Lust auf eine weitere Reise auf die rote Insel und Lust auf ein Österreich, in dem die Menschen ihre Geschicke selbst bestimmen.
[1] Auf Kuba existieren zwei Währungen, die Moneda Nacional für Güter des täglichen Bedarfs und der an den Dollar gebundene Peso convertible (CUC).