Mit dem Vortrag von Thilo Sarrazin vor etwa 700 geladenen Gästen in der Grazer Seifenfabrik wurde bewiesen, dass der Antiislamismus nicht nur massentauglich, sondern auch längst salonfähig ist. Die Option einer Neuauflage von Schwarz-Blau liegt wieder auf dem Tisch.
Die große Sarrazin-Show
Thilo Sarrazin reihte sich mit seinem Werk „Deutschland schafft sich ab“ nahtlos in die Reihe der sogenannten Islamkritiker ein. Als (noch immer!) Mitglied der SPD und ehemaliges Vorstandsmitglied der Deutschen Bank hat er offen rassistische Positionen für die vermeintliche „Mitte der Gesellschaft“ salonfähig gemacht. Für diesen Job brauchte das deutsche Kapital einen Mann wie Sarrazin. Ihm fiel die Aufgabe zu, in Zeiten gewaltigen Sozialraubs und asozialer „Krisenbewältigungsprogramme“ eine Show zu entfachen, die mit Unterstützung der etablierten Parteien und der Medien von BILD bis Spiegel die soziale Frage mit Rassismus und Nationalismus beantwortet. Und noch etwas hält das Sarrazin-Paket für die Herrschenden bereit: Mittels Wiederbelebung einer unsäglichen sozialdarwinistischen Vererbungslehre dürfen sie ihrem Hass auf die Armen, Entrechteten und Entwürdigten wieder freien Lauf lassen.
Die FPÖ spielt in den medienbeherrschenden Debatten der letzten Zeit (Vermögenssteuer und Bildung) eine marginale Rolle, da sie mit einer klaren Positionierung in diesen Fragen entweder große Teile ihrer Wählerschaft vor den Kopf stoßen würde. Das würde die angepeilte Regierungsbeteiligung zumindest erschweren, wenn nicht gar verunmöglichen.
Nach der Sarrazin-Veranstaltung nahm nun aber das Aufeinandertreffen von Strache und Sarrazin, welches wenig mehr als ein shake-hands war, den dominanten Platz in den österreichischen Medien ein. Der Bauernbund, der als Veranstalter in der Berichterstattung eine sehr kleine Rolle spielte, mischte sich da gar nicht großartig ein. Gleichzeitig wurde Sarrazins Besuch von den Medien massiv beworben und unterstützt. Die in der Steiermark dominierende Kleine Zeitung führte nicht nur moderierend durch den Abend, sondern richtete für die, die keinen Einlass in die illustre Gesellschaft fanden, auf ihrer Homepage einen Livestream ein.
Wem nützt es?
Wenn wir nun also mit Lenin die bekannte Frage stellen „Wem nützt es?“, werden wir schnell zu einer Antwort gelangen. Denn dieser Auftritt und der damit verbundene Rummel – und das war absehbar – war in erster Linie FPÖ-Chef Strache von Nutzen. Dieser hatte das blaue Stelldichein in der Grazer Seifenfabrik angeführt, gekommen waren auch FP-Generalsekretär Kickl, der steirische FP-Landesrat Kurzmann, der Grazer Stadtrat Eustaccio und die FP-Klubchefs des steirischen Landtags sowie des Grazer Gemeinderates Mayer und Sippel.
In den bestimmenden Kreisen der steirischen Volkspartei überwiegt angesichts der immer offener zutage tretenden Skandale der Ära Schüssel die Skepsis gegenüber einer Neuauflage von Schwarz-Blau. Das zeigt die auch die auffällige Abwesendheit der steirischen VP-Granden. Weder Landeshauptmann-Vize Schützenhöfer, noch der Grazer Bürgermeister Nagl war erschienen. Dass auch keinE einizigeR Stadt- oder LandesrätIn zu sehen war, wurde von anwesenden Bauernbündlern als Boykott gewertet und kann wohl als solcher betrachtet werden.
Gewissermaßen rührte hier eine ÖVP-Teilorganisation eifrig die Werbetrommel für die FPÖ. Ein gemeinsamer Nenner sollte gefunden werden: eine rassistisch verbrämte „Leistungs“-Debatte, der Sarrazin ein „wissenschaftliches“ Mäntelchen umhängen durfte. Dabei geht es im Kern aber nur um maximale wirtschaftliche Verwertbarkeit von Menschen. Das bestätigte auch der Präsident der steirischen Industriellenvereinigung, Jochen Pildner-Steinburg, bei der an Sarrazin Vortrag anschließenden Podiumsdiskussion, bei der er sich vom rassistischen und kulturalistischen Dünkel Sarrazins abgrenzte. Bei der politischen Wunschliste war man sich aber wieder einig: „Zuzug“ von „top-qualifizierten“ „Fachkräften“ aus „China und Indien“ statt „Masseneinwanderung“ „bildungsferner“ aus „arabisch-muslimischen“ Gebieten.
Gerade die ÖVP versuchte in letzter Zeit wieder vermehrt die Rolle einer „Leistungspartei“ einzunehmen. Dahinter lässt sich die Strategie erkennen, mit den Resten von Sozialstaatlichkeit aufzuräumen. Das Werkel rennt ganz gut. Der Sozial- und Demokratieabbau funktioniert auch mit der Beteiligung der SPÖ und minimiert dabei auch noch die Wahrscheinlichkeit gewerkschaftlicher Gegenwehr. Von der blauen Opposition wird die Unzufriedenheit der Menschen durch rassistische Ablenkungsmanöver kanalisiert und macht sie damit für das System ungefährlich.
Die FP bleibt – trotz ihrer unzähligen Skandale – eine Option, mit der man die Sozialdemokratie unter Druck setzen kann. Deshalb liegt eine Koalition zwischen Schwarz und Blau nach den Nationalratswahlen 2013 auch im Bereich des Möglichen. Die FP unternimmt ja auch alles, um sich regierungsfähig zu präsentieren. Das gelingt ihr nicht zuletzt deshalb so gut, weil – und das beweist der Sozialdemokrat Sarrazin – der Antiislamismus längst zum innen- wie außenpolitischen Repertoire der sogenannte „Mitte“ zählt.
Neuausrichtung der europäischen „Rechtspopulisten“
Die im europäischen Mainstream angekommene islamophobe Hysterie lässt sich nahtlos in den von US-Neokonservativen ausgerufenen „Kampf der Kulturen“ einreihen – der dann an den irakischen und libyschen Ölquellen ausgetragen wird.
Die antiislamische Stoßrichtung der europäischen Rechtsparteien ist ein Prozess, der schon über Jahre läuft und in der „Jerusalemer Erklärung“ vom 7. Dezember letzten Jahres manifest wurde. Die Erklärung, in der es beispielsweise heißt: „Ebenso ist das Recht Israels auf Selbstverteidigung gegenüber allen Aggressionen, insbesondere gegenüber islamischem Terror, zu akzeptieren.“ oder: „Dadurch würde die Kritik am Islam als ein totalitäres System mit dem Ziel der Unterwerfung der Welt, mit der Stigmatisierung der moderaten Muslime verwechselt werden.“, wurde von Vertretern der niederländischen Vlaams Belang, der Schwedendemokraten, der deutschen Die Freiheit – und von Heinz-Christian Strache unterzeichnet. Diese Entwicklung soll den rechten Rand im Rahmen einer Verteidigung der „westlichen Zivilisation“ gegen die „Bedrohung durch die Barbaren“ für den EUropäischen Imperialismus (mit seinen widersprüchlichen Akteuren) und die Vertreter des europäischen Kapitals wieder zum Ansprechpartner machen.
Schwarz-Blau neu heißt Blau-Schwarz
Eine Neuauflage einer schwarz-blauen Koalition wäre aber qualitativ mit der schon gehabten nicht vergleichbar. Mehrere Faktoren spielen hier eine Rolle. Erstens liegt die FPÖ momentan in sämtlichen Umfragen vor der ÖVP, und so würde die Volkspartei zum Juniorpartner in der Koalition werden. Zweitens haben wir es mittlerweile mit einer anderen FPÖ zu tun. Während es Haider gelang, den „liberalen“ und den „nationalen“ Flügel der Partei unter einen Hut zu bringen, sind die vermeintlich „Liberalen“ mit der Gründung des BZÖ abgewandert. Verblieben ist der stramm rechte Kern um die Burschenschafterriege, garniert mit neonazistischen Einsprengseln. Die Führungsriege der FPÖ hat in letzten Jahren bewiesen, dass sie daraus auch kein großes Geheimnis macht. Man denke in diesem Zusammenhang nur an Martin Graf, Barbara Rosenkranz oder Susanne Winter. Nicht zuletzt befinden wir uns aber mitten in der größten Krise des Kapitalismus seit den 1930er-Jahren, in welcher dieser eine immer aggressiver Politik an den Tag legt. Der offizielle Kurs dieser möglichen Regierung wird eine weit rabiatere Gangart in Sozialabbau und Privatisierung im Vergleich zu der schon gehabten Koalition sein. Die Angriffe auf weite Teile der in Österreich lebenden Menschen würden hier eine erneute Verschärfung erfahren.
Ebenso würden die rechten Recken – mehr als dies bis dato der Fall ist – in Posten und Ämter in Ministerien, staatsnahen Unternehmen, Polizei und Verfassungsschutz aufsteigen.
Die Bedrohung einer blau-schwarzen Bundesregierung bleibt also, allen Beteuerungen zum Trotz, eine Option. Dagegen gilt es Widerstand zu organisieren. Dass am 29. September in Graz einige hundert Menschen vor der Seifenfabrik und vor allem beim Interkulturellen Volxfest am Grazer Hauptplatz ihren Protest zeigten, ist ein Anfang. Effektiver Widerstand braucht aber mehr, und die wichtigste antifaschistische Waffe ist und bleibt – gerade in Zeiten der Krise – der soziale Kampf: Wer aktiv für seine Interessen eintritt, ist weniger anfällig für rechte Hetze!
In diesem Sinne:
Sarrazin, halt’s Maul!
Strache, hoit de Pappn!
Und für uns gilt: In Bewegung kommen!