Wer die Welt verändern will, muss sie zu allererst erkennen. Bevor Entwürfe zu Widerstand und Gegenmacht dargelegt werden können, muss Klarheit über die gegenwärtige Situation herrschen. Und hier brauchen wir erst einmal nicht lange zu zaudern: Die Welt in der wir leben ist eine, die auf den Abgrund der Barbarei zuwankt und durch die ein tiefer Riss läuft. Ein Riss zwischen oben und unten. Oben, das ist der Platz des Kapitals, der Platz der Macht. Hier thronen jene, die Konzerne und Staaten, Banken und Heere, Börsen und Fabriken, ja Menschen, Tiere und Natur ihr Eigen nennen. Für die, die unten sind, bleibt dabei nicht vieles, das von Wert ist. Armut und Unterdrückung, Elend und Ausbeutung dagegen gibt es im Überfluss. Die Macht der einen ist in dieser Welt die Ohnmacht der anderen, und umgekehrt.

„It’s class warfare“

Beginnen wir also bei der Macht. Diese beruht gegenwärtig auf dem System des (beinahe) weltumspannenden Kapitalismus in seinem höchsten Stadium, dem Imperialismus. Dieses System ging in den vergangenen beiden Jahrzeiten in eine schonungslose Offensive über und setzt diese gerade wegen seiner gegenwärtigen Krise fort. Einer der reichsten Männer der Welt, Waren Buffet, brachte es treffend auf den Punkt: „Es herrscht Klassenkrieg, richtig. Aber es ist meine Klasse, die reiche Klasse, die Krieg führt und wir sind dabei, zu gewinnen.“

In den ersten Nachkriegs-Jahrzehnten etablierte sich in den westlichen Staaten unter dem äußeren Druck der realsozialistischen Systemkonkurrenz und einer relativ starken ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung im Inneren ein System, dem man hierzulande den verlogenen Namen „Sozialpartnerschaft“ gab. Alle Zugeständnisse jener Zeit, also relativer Wohlstand und soziale Sicherheit für die breite Masse oder freier Bildungszugang, fielen nicht vom Himmel, sondern waren Ausdruck gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse: die Kapitalisten konnten nicht, wie sie wollten. Die realsozialistischen Staaten, die ArbeiterInnenbewegung im Westen und im Bündnis mit ihnen jene der StudentInnen, der Frauen oder der Friedensinitiativen sowie die antikolonialen Befreiungskämpfe boten dem Imperialismus Paroli. Sie stellten eine reale Gegenmacht dar und waren dabei VertreterInnen einer Welt des Friedens, der Gerechtigkeit und der Solidarität.

Aber der Wind drehte sich und es sind vor allem drei Faktoren, die die folgende Offensive des Kapitals einleiteten: Innere und äußere Widersprüche führten vor nun mehr als 20 Jahren zum Zusammenbruch der Sowjetunion und der realsozialistischen Staaten Osteuropas . Während die kommunistischen Parteien und die revolutionäre ArbeiterInnenbewegung damit in eine tiefe Krise schlitterten, bekam der Imperialismus wieder freie Hand. Noch zuvor leiteten die britische Premierministerin Thatcher und US-Präsident Reagan die Phase eines uneingeschränkten wirtschaftlichen Liberalismus ein – und legten damit den Grundstein für die gegenwärtige Wirtschaftskrise. Die sozialdemokratischen Parteien, die in den (meisten) westlichen Staaten einen großen Teil der ArbeiterInnenschaft bei der Stange (des Kapitals) hielt und die Gewerkschaften kontrollierten, liefen nun mit wehenden Fahnen endgültig in das Lager der vermeintlichen Sieger der Geschichte über. Die Sozialdemokratie wurde nicht länger als Abschwächerin des Kapitalismus gebraucht, womit auch die reformistische ArbeiterInnenbewegung vollends in die Krise stürzte.

Kapitalismus in der Offensive

Wir haben nun in aller notwendigen Kürze umrissen, wie es zu diesem Turn-Around der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse kam. Was bewirkte dieser aber, was ist die Offensive des Imperialismus? Wir erleben, wie der Kapitalismus mit aller Gewalt das Rad der Geschichte rückwärts dreht: Zerschlagung des Sozialwesens, Aushöhlung des Pensionssystems, Aushebeln von Kollektivverträgen, Bildung und Gesundheitswesen werden privatem Profitstreben unterworfen. Das Abwälzen der Krisenlast und der Bankenrettungspakete auf die breite Masse, deren Lebensstandard durch stagnierende Löhne bei massiv steigenden Preisen sinkt, werden dies noch weiter verschlimmern. Damit spitzt sich freilich die Krise, die auf Überproduktion und Unterkonsumtion infolge geringer Einkommen beruht, noch weiter zu. Die Macht der Finanzmärkte und das Diktat von Internationalem Währungsfonds, Weltbank und EU führen ganze Staaten und Volkswirtschaften an den Rand des Bankrotts, die vermeintlichen Auswege daraus führen noch weiter in den Sumpf. Soziale Absicherung für die/den Einzelnen ist dem unsäglichen Begriff der Flexicurity gewichen, Prekarisierung und Verelendung greifen selbst in den reichen Staaten um sich. In den Entwicklungsländern führt diese Entwicklung zu Hungernöten. Der Kampf um Ressourcen und Absatzmärkte, die Renaissance des Krieges als legitimes politisches Mittel und die fortgesetzte, rücksichtslose Zerstörung der Natur führen die Menschheit an den Rande des Abgrunds.

Da der Kapitalismus aber ein totales, alle Lebensbereiche erfassendes System ist, blieben diese Angriffe nicht auf den Bereich der Wirtschaft beschränkt. Die erwähnte Margaret Thatcher brachte das politische Programm des Neoliberalismus auf den Punkt: „There is no such thing as society“ und vor allem „There is no alternative“. Damit war der ideologische Angriff auf Werte wie Solidarität und Gerechtigkeit eingeleitet, unterstützt von einem massiven propagandistischen Trommelfeuer für einen angeblichen Zwang zum Sparen. Der Mensch soll als entfremdetes, vereinzeltes Individuum mit seinen Ellbogen darum kämpfen, seine „Leistung“ auf dem „freien Markt“ anbieten zu „dürfen“. Soziale Absicherung, kollektives Wirken, gemeinsame Interessen gehören in einer solchen „Nicht-Gesellschaft“ der Vergangenheit an; Solidarität, Freundschaft und Klassenbewusstsein sollen Konkurrenz und rücksichtlosem Egoismus Platz machen. Was einst vornehmliche Aufgabe der Religion war, wird nun von der Unterhaltungsindustrie geleistet: Mittels Fernsehen, Internet, Radio und Magazinen werden schnelle Autos, große Brüste, Konsumrausch oder Starlet-Voyeurismus als alleinig glückselig machende Lebensinhalte dargestellt, womit täglich millionenfach falsches Bewusstsein produziert wird. Weil für die breite Masse der Bevölkerung die bunten Trugbilder der Gazetten und Videoclips aber unerreichbar bleiben, braucht es Sündenböcke, um von den für die täglich erlebbare Misere Verantwortlichen abzulenken. Hier bedient sich das Kapital zunehmend ungeniert der alten rassistischen und antisemitischen Giftküche. Als Einpeitscher dienen zu „Politrabauken“ hochstilisierte Rechtspopulisten, und der Mainstream hinkt Schritt um Schritt nach rechts mit. Und für den Fall, dass sich – trotz alledem – Widerstand regt, bas-telt man von oben an einem immer besser funktionierenden Unterdrückungsapparat, der den Marsch in den autoritären Staat einleitet.

Wir haben bereits eingangs festgestellt: Die Welt in der wir leben ist eine, die auf den Abgrund der Barbarei zuwankt. Und die Schlimmste aller Krisen dabei ist die gegenwärtige Krise der revolutionären Bewegung. Solange die Linkskräfte so schwach sind, ist die schönste kapitalistische Krise für die Katz‘: Die Macht der Herrschenden taumelt nicht, solange die Beherrschten ohnmächtig sind, weil es keine Kraft gibt, die den Widerstand organisiert. Damit kommen wir zur Frage der Gegenmacht und wie eine solche trotz der oben skizzierten ungünstigen Bedingungen aufgebaut werden kann. Denn letztlich bleibt uns, die wir weder wie Lämmer zur Schlachtbank geführt, noch selbst zu Metzgern werden wollen, nichts übrig, als unsere Wut zu Widerstand zu machen.

[1] … Über den realen Sozialismus haben wir im Rahmen der vorneweg-Reihe „Wir und die Anderen“ festgestellt: „Wir stehen zur Geschichte der kommunistischen Bewegung mit ihren zahllosen Errungenschaften, wissen aber auch um die Fehler, die begangen wurden. Wir halten es weder für möglich, den Kapitalismus zu überwinden, indem man sich der herrschenden Klasse anbiedert und ihre Geschichtsschreibung übernimmt, noch den Sozia-lismus zu schaffen, ohne seine Fehlentwicklungen zu analysieren.“