Dass sich Liebeskummer nicht lohnt, wissen wir alle spätestens seit es uns Siw Malmkvist vorgeträllert hat. Und trotzdem ist ihm noch kaum ein Mensch entkommen. Doch warum ist das eigentlich so, wenn es doch so schade um die Tränen in der Nacht ist? Und was hat eigentlich der Neoliberalismus damit zu tun?

Der französische Schriftsteller Jean Anouilh hat einmal gesagt „Die Liebe: auch ein Problem das Marx nicht gelöst hat“. Naja, mag sein, dass uns auch der Kommunismus nicht gänzlich vom unglücklich Verliebtsein befreien wird. Dass der Kapitalismus auch diesen Aspekt des Lebens nicht besser macht, kann man Marx aber doch abgewinnen. Das mit der Liebe und dem Kapitalismus, das ist nämlich so – wie soll man das am besten beschreiben – widersprüchlich ist das.

Von der Kommerzialisierung der Romantik oder wenn die Liebe zur Ware wird

Dieser Widerspruch zwischen Kapitalismus und Liebe zeigt sich bereits darin, dass der Kapitalismus „kalt“, rationalistisch, auf Leistungsprinzip und Konkurrenz basierend, dem Profitinteresse unterliegt und den Menschen auf den Wert seiner Arbeitskraft reduziert. Wie geht sich das aus mit dem Konzept der Liebe, das auf Intimität und Loyalität, auf „Wärme“ fußt – darauf für den anderen da zu sein, ungeachtet seiner vermeintlichen „Leistung“?

Im Kapitalismus entfremdet sich der Mensch von dem Produkt seiner Arbeit, vom Arbeitsprozess und in weiterer Folge nicht nur von sich selbst, sondern auch von seinen Mitmenschen. Unter diesen Bedingungen sind, wie Marx schreibt, die Möglichkeiten zu „menschlichem“ Arbeiten, Leben und Lieben kaum gegeben.

Was das in der Praxis der Liebe bedeutet, zeigt sich beispielsweise im gegenwärtigen Gebrauch von Dating-Apps. Welcher Single kennt es nicht? Auf Tinder gefühlt stundenlang nach links zu swipen und dann erst recht das Smartphone wieder wegzulegen, weil das Angebot nicht zufriedenstellend scheint oder es eigentlich doch nur ein wenig dem Zeitvertreib dient. Ist wie ein bisschen bummeln gehen, aber dann doch nichts kaufen. Während man seinen Blick recht kritisch über die Auslagen streifen lässt, liegt man auf Tinder&Co aber gleichzeitig selbst auf dem Präsentierteller. Die Liebe und dabei auch die Liebenden selbst werden zur Ware degradiert. Allein der Begriff “Partnerbörse” – zugegebenermaßen nicht gerade das „Jugendwort des Jahres“ – zeigt das bereits. Um sich selbst nun auf diesem Liebesmarkt zu verkaufen, muss man sich natürlich dafür fit machen, um den eigenen Wert zu steigern, sich eben auch wirklich gut zu verkaufen – mit Pumpen, Yoga, sexy Urlaubsfotos, dem Traumjob und am besten auch Therapie. Wichtig ist es also, zuerst die vermeintlich beste Version unserer Selbst zu werden, um dann auch unsere/n bestmöglichen PartnerIn zu finden. An diese/n haben wir dann den Anspruch, ausschließlich positives zu unserem Leben beizutragen. Er soll uns ja auf unserem Weg zur Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung unter keinen Umständen behindern und unserem ausgeprägten Drang nach Autonomie darf er oder sie auch auf keinen Fall im Wege stehen. Bei Nicht-Erfüllung dieser Auflagen besteht jederzeit die Option ihn oder sie wieder abzuwählen. Denn Waren sind austauschbar – und das Angebot ist groß. Es besteht ja keine Notwendigkeit, eine Liebesbeziehung weiter zu verfolgen, wenn sie uns gerade nicht mehr dienlich erscheint. Zurück bleibt ein gebrochenes Herz, das Gefühl des Scheiterns und ein gekränktes Selbstwertgefühl. Dann heißt es wieder aufspringen auf den Selbstoptimierungszug bis man bereit ist für den nächsten Anlauf.

Was erwarten wir uns von der Liebe?

Dass wir uns so schwer tun mit der Liebe hat viele Ursachen. Eine zentrales Problemfeld eröffnet aber mit Sicherheit die Frage wozu wir heute eigentlich Liebesbeziehungen eingehen und was wir uns denn von ihnen erwarten. Historisch betrachtet hatten Ehen immer auch einen praktischen und ökonomischen Zweck, die Hetero-Ehe war über Jahrhunderte hinweg eine feste Institution – quasi Standard. Und in der Partnerwahl war man zusätzlich auch eingeschränkter. Ein anderes soziales Milieu oder unterschiedliche religiöse Zugehörigkeiten galten die längste Zeit als Ausschlusskriterium – wenn man denn überhaupt so frei war, den Partner selbst zu wählen und eine „Liebesehe“ einzugehen. Heute gilt das Credo „Folge deinem Herzen“. Das kann aber schnell in die eine oder andere Richtung ausschlagen. Die Frage, ob diese dann die richtige ist, stellt sich halt und wo man dann damit hin will, ist ja auch nicht so klar. Für die Generation unserer Eltern war der erstrebenswerte Weg in Sachen Beziehungen noch recht klar vorgegeben: PartnerIn finden, Kredit aufnehmen, Häuserl bauen und Kinder kriegen. Der Hund war nicht obligat, Katze oder Meerschweinderl standen alternativ zur Wahl (vorausgesetzt niemand hat eine Allergie). Was bei denen im Unterschied zu den Großeltern dazugekommen ist, ist, dass die Scheidungsanwälte auf einmal auf dem Vormarsch waren. Der Großteil der Frauen der Boomer-Generation sind neben der Verantwortung für die Hausarbeit und die Kindererziehung jetzt schließlich auch Teilzeit beschäftigt. Die sogenannten „Karrierefrauen“ sogar Vollzeit dabei.

Wir Millenials und Angehörige der Gen-Z haben da nicht so genaue Vorgaben, wie das mit den Beziehungen und der Liebe eigentlich ausschauen soll. Einen stattlichen Mann finden, diesen heiraten, Kinder kriegen, Hausbauen und dann in Teilzeit gehen ist heute wohl seltener die Antwort auf die Frage, was man sich so wünscht vom Leben. Niemand hat die Absicht zu behaupten, dass unsere Eltern in ihren Beziehungen glücklicher waren als wir. Die Unklarheit darüber, was wir uns von romantischen Beziehungen erwarten, führt aber doch zu einer gewissen Orientierungslosigkeit – vor allem, wenn es zusätzlich um Jobaussichten schlecht steht, sich Unsicherheiten bezüglich der Sicherung unserer Existenz breit machen und die einzige Orientierung, die uns gegeben wird, das ständige Streben nach Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung ist. Das führt zwangsläufig auch bezüglich der Vorstellungen in Liebesdingen zu Befangenheiten. Wo wollen wir hin mit einer Beziehung? Wollen wir überhaupt eine? Soll die dann monogam sein? Wer ist dann für uns der beste Partner, wenn die Auswahl doch so groß ist? Kann ich jemandem Treue versprechen, wenn ich selbst nicht weiß wohin mit mir? Wärs nicht g‘scheiter, einfach allein ein Kind zu bekommen, bevor ich mir einen Mann auch noch antu? Wenn wir uns für jemanden entscheiden, sehen wir auch keinen Grund bei der Entscheidung zu bleiben, wenn er oder sie uns dann doch einmal auf die Nerven geht.

Es liegt nicht an dir“

Mein Mitgefühl gilt an dieser Stelle all jenen, die diesen Satz in der unglücklichen Situation des „stehen gelassen Werdens“ schon einmal gehört haben. Meistens folgt darauf „sondern an mir“ und fast immer sucht man den Fehler dann aber doch bei einem selbst. Ich möchte an diesem Punkt festhalten: Es liegt wahrscheinlich wirklich nicht an dir. Die Auswüchse des Neoliberalismus, die auch vor unseren intimen und sexuellen Beziehungen keinen Halt machen, bieten keine gute Grundlage dafür, zu lieben und geliebt zu werden. Wenn die Liebe als Leistungssport begriffen wird, bei dem der Fokus darauf liegt, unseren eigenen Wert zu beweisen und den des anderen für uns zu bemessen, dann kann man davon ausgehen, dass es nicht an dir liegt und daran, dass du den Zahnpastadeckel nie zuschraubst oder dich zu wenig für UK Garage begeisterst. Wenn das Deutungsangebot so breit, das finanzielle Auskommen so unsicher und die Orientierungslosigkeit so groß ist, haut das mit der Liebe auch nicht so leicht hin. In einer unliebsamen Gesellschaft ist es schwer möglich, die Liebe zu sich Selbst und anderen zu finden, denn wenn es in der Liebe mehr ums Geben statt ums Nehmen gehen soll, fällt das schwer, wenn man nicht viel zu geben hat. Zu beschreiben, wie die Beste aller Formen eine Beziehung zu führen und zu lieben aussieht, ob man ihre lebenslange Dauer erzwingen muss, ob sie monogam oder offen gehalten werden sollte, liegt nicht in meinem Ermessen. Ich kann nur so weit gehen festzuhalten, dass auch die Liebe und Beziehungen Teil der sozialen Frage sind. Die Zukunft der Liebe müssen wir wohl darin sehen, zu erkennen, dass sie über unsere intimen Beziehungen und den Drang nach individueller Selbstverwirklichung hinausreichen muss, um die gesellschaftlichen Verhältnisse so weit zu verändern, dass unsere Grundbedürfnisse gedeckt sind, damit die Liebe und wie wir sie leben keinen ökonomischen Zwängen unterworfen ist und Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern der Geschichte angehören, sodass wir uns auf Augenhöhe begegnen, sie genießen und in ihr aufgehen können.